Politische Polizei

Zu diesem Thema lesen wir in: Wir Bürger als Sicherheitsrisiko: Berufsverbot und Lauschangriff - Beiträge zur Verfassung unserer Republik, Wolf - Dieter Narr, Reinbek, bereits 1977:

Dem SPD - Abgeordneten Wolfgang Pennigsdorf gelingt es, der niedersächsischen Landesregierung im Landtag (...) Erklärungen zu entlocken, durch die offenkundig wird, daß nicht nur Organisationen, die bei den Behörden als „verfassungsfeindlich“ abgestempelt sind, nicht nur Bürgerinitiativen, nicht nur Amnesty International, sondern auch alle erdenklichen anderen Vereinigungen, einschließlich der großen Parteien, jederzeit überwacht werden. Die Landesregierung verlautbart: “Nach dem Grundsatz der Einheit der Staatsgewalt hat die Polizei Nachrichten oder Unterlagen, deren Kenntnis auch für andere Behörden zur Erfüllung ihres Aufgabenbereichs notwendig sein könnte, an diese Behörden weiterzuleiten. Aus diesem Grunde übermittelt die Polizei selbstverständlich Berichte über Aktionen von Organisationen oder anderen Gruppierungen mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung an die Verfassungsschutzbehörde. Es werden aber auch Berichte über Veranstaltungen demokratischer Organisationen oder Gruppierungen an die Verfassungsschutzbehörde weitergeleitet. Denn bekanntlich versuchen links- oder rechtsextremistische Organisationen oder Gruppierungen immer wieder, Veranstaltungen demokratischer Organisationen zu stören oder in ihrem Sinne ´umzufunktionieren´... Ebenso ist es für die Verfassungsschutzbehörde wichtig, von der Polizei zu erfahren, ob Veranstaltungen demokratischer Parteien oder Organisationen störungsfrei verlaufen sind.“ Kurz: Kein Demokrat ist vor geheimdienstlicher Beobachtung sicher.

Das war vor fast einem viertel Jahrhundert. Heute ist man da schon weiter: Bei den Geheimdiensten handelt es sich um die Polizei für das Politische. Da es eine Polizei, die sich um die politische Meinung der Bevölkerung kümmert, im „freiesten Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hat“, nicht geben darf, denn das würde ja gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verstoßen, werden die Aktivitäten der Geheimdienste naturgemäß geheimgehalten. Worin besteht nun aber die Aufgabe dieser „politischen Polizei“?

Nun, in jeder Gesellschaft gibt es unterschiedliche Meinungen und Dissens über allgemeine politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen. Eine natürliche Erscheinung, die dazu führt, die jeweiligen Zustände in der Öffentlichkeit zu diskutieren und, in einem demokratischen System, eine Lösung zu finden, die der Mehrheitsmeinung entspricht. Das heißt nicht notwendigerweise, daß die Mehrheit immer die richtige Entscheidung treffen muß. Aber jeder kann in der Diskussion seine Meinung einbringen, und versuchen, den anderen mit Argumenten zu überzeugen.

Diese ständige Diskussion und Anpassung der Politik ist notwendig, um einen Stillstand, eine Versteinerung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu vermeiden. Denn eine solche Blockade führt zu einer Anhäufung von ungelösten Problemen. Das kann man am Schicksal des Ostblocks sehen, in dem ja über Jahrzehnte die große Mehrheit der Bevölkerung von der Entscheidungsfindung ausgeschlossen war. Man hat Dissidenten in Lagern und psychiatrischen Anstalten verschwinden lassen, anstatt sich inhaltlich mit ihnen auseinanderzusetzen.

Naturgemäß empfindet der Apparat jede politische Diskussion als Bedrohung der etablierten Verhältnisse, auch wenn diese Diskussion und die damit verbundene Form der Entscheidungsfindung ausdrücklich in der herrschenden Ordnung vorgesehen, ja vorgeschrieben ist. Eine Entscheidungsbefugnis des Verwaltungsapparates ist dagegen, systembedingt, in einer Demokratie ausgeschlossen. Trotzdem ist es so, daß die Verwaltung die Entscheidungskompetenz praktisch an sich gezogen hat.

Die Politiker sind auf ihre Verwaltung angewiesen. Gegen seine Verwaltung kann kein Politiker Entscheidungen treffen. Zeitweise kann man den Eindruck gewinnen, daß viele Politiker nur noch der Pressesprecher ihres Beamtenapparates sind. Sie müssen die Entscheidung der Verwaltung der Bevölkerung gegenüber vertreten und werden so in das System eingebunden. Und diese Verwaltung beschäftigt die Politiker, hetzt sie von einem Termin zum anderen und schirmt sie von der Bevölkerung ab. Ein Minister mit einem 18 Stunden Tag hat naturgemäß wenig Zeit, wichtige Entscheidungen zu überdenken, mit anderen zu diskutieren, und eine ausgewogene Entscheidung zu treffen. Es bleibt oft nur die Zeit, einen vorbereiteten Text zu unterzeichnen und dann zum nächsten Termin zu eilen. Hier wäre weniger mit Sicherheit mehr.

In gewisser Weise besteht zwischen Verwaltung und Politik ein Verhältnis wie zwischen Geiselnehmer und Geisel. Sie sind, trotz der entgegengesetzten Interessen, aneinander gebunden. Der Geiselnehmer hat die volle Gewalt über seine Geisel, entscheidet über Leben und Tod, das heißt, über Erfolg oder Mißerfolg des Politikers. Und gemeinsam haben sie Angst vor der Polizei im einen und der Bevölkerung im anderen Fall.

Aber auch in der Bevölkerung regt sich bei schwindender demokratischer Legitimierung von Herrschaftsstrukturen politisches Interesse. Und da gilt es nun den Anfängen zu wehren. Da man keine offenen politischen Prozesse durchführen kann, geht man verdeckt vor. Dazu steht eine große Palette an Maßnahmen zur Verfügung, um Dissens abzuwürgen. Beliebt ist die Kriminalisierung. Man gibt Gelegenheit zur Begehung von Straftaten. Damit kann man die Zielperson entweder Erpressen oder vor Gericht stellen.

Junge Leute werden zum Drogen- und Alkoholkonsum geführt. Das stellt ruhig und beschäftigt. Und bei Bedarf kann man sie immer tiefer in ihre Sucht treiben. Diese Verfahren sind wenig aufwendig. Anfällige Personen kann man damit innerhalb kürzester Zeit ausschalten.

Wer sich aber nicht kriminalisieren oder anderweitig ruhigstellen läßt, wird isoliert. Dazu bedient man sich der Zersetzung, um diese Personen aus ihrer bisherigen Umgebung zu vertreiben. Gleichzeitig baut man einen Kreis aus neuen „Freunden“ auf. Diese sind sehr liebenswürdig, und man kann mit ihnen seine Ansichten in der Gruppe besprechen. Damit ist die unerwünschte Meinung isoliert, also kein Problem für das System. Gleichzeitig versucht man fortgesetzt die Zielperson zu radikalisieren, damit sie sich in der Öffentlichkeit unmöglich macht. Es ist dabei natürlich ohne Belang, in welche Richtung diese Radikalisierung vorangetrieben wird.

Gleichzeitig bauen sich die Geheimdienste auf diese Weise radikalisierte Gruppen auf, die als Bürgerschreck benutzt werden. So kann man mehr Personal und Geld fordern, denn man muß dieser „Bedrohung“ ja irgendwie begegnen. Wer sich von diesen Maßnahmen der Geheimdienste nicht „abschalten“ läßt, läuft Gefahr, daß man ihm schwerwiegende Probleme bereitet. Das geht von allgemeiner Zersetzung, also dem Verbreiten von Gerüchten, dem Gegeneinanderhetzen von Nachbarn, Arbeitskollegen und Familienmitgliedern, Drohungen aller Art bis zu Sabotage und verdeckter und offener Gewalt. Dabei geht man natürlich immer so vor, daß keinerlei verwertbare Spuren zurückbleiben.

Ein sicheres Zeichen für das Wirken der Geheimdienste kann man darin sehen, wenn andere Behörden „stillhalten“, das heißt darauf verweisen, daß es keinerlei Beweise gibt. Gerade dieses Stillhalten ist der offensichtliche Beweis, daß diese Behörden einem Geheimdienst Amtshilfe leisten. Denn ein Tätigwerden ausländischer Geheimdienste oder privater Organisationen würden staatliche Behörden natürlich nicht dulden. So findet politische Verfolgung verdeckt statt. Und manch einer, der sich in kriminelle Machenschaften oder Drogenkonsum verstrickt hat, kennt die wahren Hintergründen für sein „Verschwinden“ im Gefängnis, in der Sucht oder in der Psychiatrie nicht. Und wer in dauernden Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn, Arbeitskollegen oder seiner Familie aufgerieben wird, sollte sich ernsthaft die Frage stellen, ob er nicht ein klein wenig zu demokratisch ist. Oder das eine oder andere Mal seine Meinung gesagt hat. Denn Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

Und dann gibt es noch die persönlichen Rachefeldzüge von Mitgliedern des Apparates, die ihren Mitmenschen falsche Berichte in die Akten setzen. Oder sie zum Abschuß freigeben. Denn menschliche Schwächen gibt es überall. Auch beim Geheimdienst. Und manche Autoren sind der Meinung, daß die Mitgliedschaft in einem Geheimdienst wegen des zweifelhaften Umganges den Charakter verdirbt. Aber das macht ja nichts. Das merkt ja keiner. Denn es bleibt ja geheim. Und die Geschichte mit der demokratischen Kontrolle ist offensichtlich eine Desinformation der Geheimdienste. Denn nicht die Politik kontrolliert. Sie wird kontrolliert. Und zwar offensichtlich sehr effektiv.

Vielleicht ist dem einen oder anderen Leser im oben zitierten Text die Formulierung „Einheit der Staatsgewalt“ aufgefallen. Eine interessante Rechtskonstruktion. Länder die keine Gewaltenteilung besitzen, also die Einheit der Staatsgewalt verwirklicht haben, nennt man Totalitär. Offensichtlich eine alte deutsche Krankheit...

http://www.totalitaer.de