What is a nerve? R.S. Mackay In: IRE Transations on medical electronics ME-7, pp. 94-97 New York 1960

Was ist ein Nerv?

Eine Antwort auf die Frage "Was ist ein Nerv?" lautet, daß ein Nerv als eine Hintereinanderschaltung von bistabilen Schaltelementen angesehen werden kann. Diese Antwort erklärt nicht die Funktionsmechanismen eines Nervs, aber sie fasst viele der beobachteten Eigenschaften von Nerven und vergleichbaren Systemen zusammen. (...)

Ein Nerv mit seiner alles oder nichts Reaktion ( Anmerkung des Übersetzers: Also der Produktion von binären Signalen wie in der digitalen Technik in der, im Gegensatz zur analogen Technik nur zwei Werte, nämlich Strom Ein und Strom Aus verwendet werden) und der Aussendung eines Impulses, dessen Form und Weiterleitungsgeschwindigkeit von der Struktur des Leiters und nicht von den Mechanismen seiner Auslösung abhängt, zeigt bistabiles Verhalten. Das bedeutet, daß ein Impuls als ein Schaltvorgang zwischen zwei ziemlich genau definierten Zuständen angesehen werden kann. (...)

Eine Erhöhung der an einem gewöhnlichen elektrischen Widerstand angelegten Spannung führt zu einer Erhöhung des fließenden Stroms. Deshalb erhält man bei einem Diagram in dem der fließende Strom in Abhängigkeit von der Spannung dargestellt wird, eine Kurve, die nach Rechts ansteigt. Nun gibt es Systeme, bei denen die Kurve nach rechts hin abnimmt, bei denen also eine Zunahme der Spannung zu einer Verringerung des fließenden Stromes führt. Ein solches Verhalten wird als Bereich negativen Widerstandes, oder vereinfacht und kürzer, als negativer Widerstand bezeichnet. Die negative, abnehmende Charakteristik der Kurve kann nur in einem begrenzten Bereich vorkommen, denn sonst müßte das betreffende System in der Lage sein, unbegrenzt Energie zu liefern. Einige der zu beobachtenden Eigenschaften sind in Bild 1 dargestellt. Wir erkennen, daß es zwei Arten von negativem Widerstand gibt, die sich dadurch unterscheiden, wie der abnehmende Bereich jeweils in die beiden benachbarten positiven Bereiche übergehen. Auch wenn in beiden Fällen die die Eigenschaften der Systeme beschreibenden Kurven einen abnehmenden Bereich zeigen, so zeigen doch beide Systeme ein grundsätzlich unterschiedliches Verhalten, wenn sie Bestandteile von elektrischen Schaltkreisen sind. (...)

In Bild 1 (a) ist die Beschreibung eines Systems dargestellt, in dem eine zunehmende Spannung zuerst zu einer Zunahme, dann zu einer Abnahme und schließlich zu einer weiteren Zunahme des fließenden Stroms führt. Die Eigenschaften des anderen Systems sind in Bild 1 (b) dargestellt. Hier führt ein zunehmender Stromfluß durch das System zuerst zu einer zunehmenden, dann einer abnehmenden und schließlich zu einer weiter zunehmenden Spannung. Wenn eine gleichmäßig ansteigende Spannung an einem System der zweiten Art angelegt wird, erhält man ein Ergebnis, wie es in Bild 1 (c) dargestellt ist. Hier finden wir zuerst einen allmählichen Anstieg des Stromes, dann eine Unterbrechung in der Gleichförmigkeit des Stromanstiegs mit einem Sprung auf ein höheres Niveau und im weiteren Verlauf einen weiteren allmählichen Anstieg des Stromflusses. Bei abnehmender Spannung findet eine Hysterese ( Anmerkung des Übersetzers: Andauer der Wirkung nach Beendigung des auslösenden Einflusses ) statt, denn die Stärke des fließenden Stromes verringert sich langsam bis zu dem Punkt wo er plötzlich auf einen geringeren Wert abfällt, um dann weiter langsam bis auf den Wert null zurückzugehen.

Dieser Sprung in der Stärke des fließenden Stromes findet bei abnehmender Spannung insgesamt bei niedrigerer Spannung statt, als der Sprung beim Anstieg der Spannung. Hysterese wird bei Systemen der ersten Gruppe ( Bild 1 (a)) beobachtet, wenn ein ständig wechselnder Strom angelegt wird. Eine Beeinflussung des Gesamtsystems, so daß der charakteristische Bereich der Kurve in anderen Quadranten liegt, beeinflusst diese grundlegende Eigenschaft nicht. ( Anmerkung des Übersetzers: So wird zum Beispiel bei Empfangsdioden in Radargeräten oder Radioempfängern eine kleine Vorspannung angelegt, mit deren Hilfe der Arbeitspunkt der Diode eingestellt wird. Denn weil sich Vorspannung und Hochfrequenzspannung addieren, wird die Diode dadurch im Bereich der maximalen Empfindlichkeit betrieben. Das heißt, daß sich die Kurve in einem Koordinatenkreuz verschiebt, in dem alleine die Spannung und der Strom der Hochfrequenz dargestellt wird ohne die Vorspannung zu berücksichtigen. Aus dieser Verschiebung folgt dann daß bereits eine sehr geringe Änderung der Hochfrequenzspannung zu einem sprunghaften Anstieg des Stromes führen kann. )

Für jemanden, der sich für Elektronik oder Elektrizität interessiert sind diese Überlegungen einfach nachzuvollziehen, denn genaugenommen kann man keine Schwingungen, Verstärkungen oder Schaltvorgänge auslösen, ohne im entsprechenden Schaltkreis Bauteile zu verwenden, die einige der genannten Eigenschaften besitzen. Die ständig neue Wiederherstellung eines Nervenimpulses auf seinem Weg durch das Nervensystem kann man sich auf der Grundlage dieses negativen Widerstandes vorstellen. Bei Versuchen (...) kann man beobachten, daß ein Nerv Eigenschaften von der Art besitzt, wie sie in Bild 1 (a) gezeigt werden. (...) In einem myelinhaltigen Nerven befindet sich eine gewisse Anzahl von "Knotenpunkten" die als "Relaisstationen" die elektrischen Pulse auffrischen. (...) Einen Schaltvorgang, oder die Aussendung eines Impulses, kann man sich als den Übergang zwischen zwei Schaltzuständen vorstellen, die den beiden Kreuzungen einer Linie ( Anmerkung des Übersetzers: In Bild 1 (c) die gestrichelten Linien ) zwischen den zwei ansteigenden Bereichen der Kurve entsprechen, wobei die Kreuzung mit dem negativen Teil der Kurve instabil ist. Ein solcher Vorgang findet in rückgekoppelten Systemen zur Pulsregeneration statt. (...)

Der Einfachheit halber kann man sich zur Erklärung eines bistabilen Zustands einen Ball vorstellen, der über die Spitze eines Hügels gerollt wird, wobei die beiden Punkte am Fuß des Hügels die beiden stabilen Zustände sind. Offensichtlich kann der Ball mit einem einzigen starken oder aber mit vielen kleinen Stößen über den Hügel befördert werden. Ein solcher Vorgang wird von den Biologen als "Addition nicht genügender großer Anregungen" bezeichnet. Es ist auch ersichtlich, daß ein bestimmter Impuls von entsprechender Stärke den Ball auf die Spitze des Hügels befördert, wo er sich für eine verschieden lange Zeit aufhalten kann, bevor er mehr oder weniger zufällig zu der einen oder anderen Seite herunterrollt. (...) Bild 2 zeigt ein Oszillogramm, das das Ergebnis der Anregung eines Multivibrators mit einem kurzen Puls wiedergibt, dessen Stärke ungefähr dem zur Auslösung des Überganges von einem Schaltzustand in den anderen notwendigen Minimum entspricht. Der Schaltkreis befindet sich für eine unterschiedlich lange Zeit in einem Zwischenstadium bevor er entweder in den "angeregten" Zustand schaltet oder in den "unangeregten" Zustand zurückfällt. Dieser dritte Zustand ist instabil, aber er kann vorkommen. Ein sehr ähnliches Verhalten zeigen Nerven. (...)

Bei einem Nerven (...) schaltet ein zeitabhängiger Mechanismus (...) das System automatisch in den normalen nicht angeregten Zustand zurück. (...) Es ist schade und manchmal verwirrend, daß Vorgänge, die Biologen und Physikern gleichermaßen geläufig sind, mit so verschiedenen Begriffen und unter Gebrauch so verschiedener Sprachen beschrieben werden.

http://www.totalitaer.de