Tail pinch induces eating in sated rats wich appears to depend on nigrostriatal dopamine
Seymour M. Antelman, Henry Szechtman
In: Science, Vol. 189, August 1975, pp. 731-733

Kneifen des Schwanzes löst bei satten Ratten Fressverhalten aus was vermutlich mit dem Einfluß von Dopamin im Nigrostriatum zusammenhängt

Zusammenfassung
Leichter Druck auf den Schwanz verursachte schnell und zuverlässig Fress-, Knabber- und Leckverhalten bei allen untersuchten Ratten. Fressen war das bei weitem vorherrschende Verhalten. Die pharmakologische Untersuchung der Beteiligung von Katecholaminen des Gehirns bei dieser Reaktion auf Schwanzdruck deutet darauf hin, daß an diesem Verhalten vor allem das Dopaminsystem des Nigrostriatums ( Anmerkung des Übersetzers: Ein Bereich des Gehirns ) beteiligt ist.

(...) Durch leichten Schwanzdruck hervorgerufenes Fressen ist in der Regel nicht von normalem Fressen zu unterscheiden. Direkt nach dem Druck auf den Schwanz beginnt das Tier zu schnüffeln und seine Umgebung einige Sekunden lang zu untersuchen. Dann wird ein Stück Trockenfutter hochgenommen und zwischen den Vorderpfoten gehalten worauf die Ratte beginnt Stücke abzubeißen und zu kauen. Während länger andauerndem Druck machen die Tiere zwischen den einzelnen Bissen Pausen und schlucken das Futter ziemlich normal. Das Fressverhalten hält fast immer so lange an wie der Druck auf den Schwanz. Dabei wird relativ wenig Futter verstreut weil die Tiere in der Regel ohne Hast ein einzelnes Stück des Futters fressen. Bei einigen Tieren scheint der Druck auf den Schwanz allerdings zu einem verstärkten Streß zu führen ( was durch Schreien angezeigt wird ) und diese Tiere wechseln oft von einem Futterstück zum nächsten. Dabei verstreuen oder zerknabbern sie manchmal einen Teil des Futters.

Das durch Schwanzdruck ausgelöste Fressverhalten ist eine ausgesprochen zuverlässige Reaktion, die bei jedem der verwendeten Tiere schnell und wiederholt ausgelöst worden ist. Dieses Verhalten scheint nicht grundsätzlich von der Aktivierung von Mechanismen der Schmerzwahrnehmung abzuhängen, denn es kann zuverlässig durch die Anwendung eines geringen Druckes hervorgerufen werden, der kein Schreien hervorruft. Da den Catecholaminen des Gehirns Norepinephrin und Dopamin oft eine Beteiligung an der Steuerung des Fressens zugeschrieben wird, haben wir ihre jeweilige Rolle bei der Auslösung von Fressverhalten durch Druck auf den Schwanz untersucht. Unsere Ergebnisse zeigen daß Fressen, ebenso wie die anderen während des Druckes auf den Schwanz beobachteten Konsumverhaltensweisen, direkt vom Dopamin des Gehirns abhängt. (..)

Die Ratten wurden paarweise (...) mit freien Zugang zu Futter und Wasser gehalten. Die Versuche wurden während des Tages in flachen Schüsseln mit Durchmessern zwischen 34,3 und 44,5 cm durchgeführt. Jede Schüssel enthielt sechs bis zehn Stücke Trockenfutter ( Purina Rat Chow ). Für den Schwanzdruck wurde eine 25 cm lange chirurgische Gefäßklemme ( Hemostat ) verwendet deren Spitzen mit Schaumgummi überzogen waren. Der Versuch bestand aus fünf zwanzig Sekunden langen Vorversuchen zwischen denen jeweils 5 bis 8 Minuten vergingen und bei denen keine Katecholamine verwendet wurden. Nach einer angemessenen Zeit folgten dann fünf Versuche bei denen Katecholamine oder Placebo verwendet wurden. Alle Tiere zeigten ohne Katecholamin sowie mit Placebo innerhalb von 20 Sekunden in 98 von 100 Versuchen Fress-, Knabber- oder Leckverhalten ( im folgenden als Schwanzdruckverhalten bezeichnet ). (...)

Unser erster Versuch diente dazu die Wirkungen einer pharmakologischen Blockade von Norepinephrin und Dopamin Rezeptoren des Gehirns auf das Schwanzdruckverhalten festzustellen. Haloperidol wurde ausgewählt weil bekannt ist, daß von diesem Stoff in nicht zu hohen Dosen sowohl Norepinephrin als auch Dopamin Rezeptoren blockiert werden (...). Dosen von 0,2 und 0,4 mg pro kg Körpergewicht blockierten Schwanzdruckverhalten signifikant in 44 und 52 Prozent der unternommenen Versuche. (...) Diese Blockade konnte nicht einer allgemeinen Schwächung ( durch Haloperidol ) zugeschrieben werden, denn die Tiere schrien und liefen erschrocken im Versuchsraum umher. In den Versuchen, in denen Schwanzdruckverhalten hervorgerufen wurde, hielt es in der Regel an bis die Gefäßklemme entfernt wurde. Im übrigen dauerte es bei mit Haloperidol behandelten Tieren im Vergleich zu den mit Placebo behandelten Tieren bei allen Dosen länger bis sie das Schwanzdruckverhalten zeigten ( Placebo: 2 Sekunden; 0,1 mg/kg: 4 Sekunden; 0,2 mg/kg: 10 Sekunden; 0,4 mg/kg: 7,5 Sekunden (...)).

Da die Ergebnisse mit Haloperidol nahe gelegt haben, daß Katecholamine am Schwanzdruckverhalten beteiligt sind, haben wir versucht Wirkungen zu identifizieren die in erster Linie durch die Wirkung von Norepinephrin oder von Dopamin ausgelöst werden. Zuerst haben wir die Wirkung von spezifischen Dopaminrezeptor blockierenden Stoffen, nämlich Spiroperidol und Pimozid auf das Schwanzdruckverhalten untersucht. (...) Spiroperidol blockierte signifikant das durch Schwanzdruck hervorgerufene Fressverhalten bei 50 Prozent der Versuche mit einer Dosis von 0,125 mg/kg. Bei einer Dosis von 0,25 mg/kg wurde das Schwanzdruckverhalten vollständig unterdrückt. (...) Pimozid reduzierte das Schwanzdruckverhalten bei Dosen von 1 und 2 mg/kg signifikant auf 60 Prozent der Versuche. (...) Während der Versuche in denen Schwanzdruckverhalten gezeigt wurde waren die Zeiten bis zum Auftreten bei 0,125 mg Spiroperidol pro kg signifikant vergrößert ( Placebo: 3 Sekunden; 0,125 mg/kg: 17 Sekunden (...)), ebenso bei allen Dosen von Pimozid ( Placebo: 2 Sekunden; 0,5 mg/kg: 5 Sekunden; 1 mg/kg: 12 Sekunden; 2 mg/kg: 8 Sekunden (...)). (...) Die Blockade des Schwanzdruckverhaltens hängt wahrscheinlich nicht mit einer Unterdrückung der Aufmerksamkeit zusammen, denn die Tiere erschienen eher aufgeregter als gewöhnlich. (...)

Diese Ergebnisse legen nahe, daß die Dopaminrezeptoren des Gehirns an entscheidender Stelle zum Verhalten des Fressens, Nagens und Leckens als Reaktion auf den Schwanzdruck beitragen. (...) Blockade der Norepinephrin Rezeptoren des Gehirns mit Alpha oder Beta Blockern hatten keinerlei Wirkung auf die Auslösung des Schwanzdruckverhaltens oder auf die Zeit bis zu seinem Auftreten. (...) Zusammengenommen deuten unsere Ergebnisse stark daraufhin, daß Schwanzdruckverhalten entscheidend vom Dopamin, nicht aber vom Norepinephrin abhängt.

Um die Rolle des nigrostriatalen Bündels beim Schwanzdruckverhalten direkt zu untersuchen, verletzten wir diese Nervengruppe mit Injektionen von 6-Hydroxydopamin (...) und untersuchten die Tiere danach. (...) Wenn das Schwanzdruckverhalten entscheidend von der Funktionsfähigkeit des nigrostriatalen Bündels abhängt, müsste es 48 Stunden nach der Behandlung von Ratten mit 6-Hydroxydopamin bei diesen massiv unterdrückt sein.(...) Trotzdem war die Auslösung des Schwanzdruckverhaltens nur bei 44 Prozent aller Versuche unterdrückt. (...)

Dieses Ergebnis legt zwei Möglichkeiten nahe:
1. Dopaminfasern außerhalb des nigrostriatalen Bündels könnten an der Auslösung des Schwanzdruckverhaltens entscheidend beteiligt sein oder
2. Einige wenige überlebende Dopaminfasern die auf überempfindliche Dopaminrezetoren im Nucleus caudatus ( Schweifkern ) einwirken, könnten ausgereicht haben, das Schwanzdruckverhalten bei einem bedeutenden Teil der Versuche auszulösen. Die Wahrscheinlichkeit der zweiten Alternative wird durch die Ergebnisse bei einer dritten Gruppe von Tieren nahegelegt, die 48 Stunden nach der Einwirkung von 6-Hydroxydopamin (...) mit 0,1 mg Haloperidol pro kg Körpergewicht behandelt wurden. Diese Haloperidol Dosis sollte, auch wenn sie bei Tieren ohne Verletzung der Nerven keine blockierende Wirkung hatte (...), effektiver in der Blockade von überempfindlichen Rezeptoren des Nucleus caudatus bei Tieren mit verletzten Nerven sein. Obwohl keines der Tiere, die 48 Stunden nach der Behandlung mit 6-Hydroxydopamin untersucht wurden, eine vollständige Blockade des Schwanzdruckverhaltens zeigte, fand bei drei von fünf Tieren nach der zusätzlichen Gabe von Haloperidol eine vollständige Unterdrückung dieses Verhaltens statt. (...)

Unsere Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden:
1. Leichter Schwanzdruck rief schnell Fressen, Nagen oder Lecken bei allen untersuchten Tieren hervor, wobei Fressen das vorherrschende Verhalten war.
2. Dieses Schwanzdruckverhalten scheint stark mit dem Dopaminsystem des Nigrostriatums zusammenzuhängen. (...) Unser Labor hat auch gezeigt, daß Schwanzdruck außer Fressen, Knabbern und Lecken ebenfalls zuverlässig Trinken und Brutpflegeverhalten auslösen kann. Das jeweils vom Schwanzdruck ausgelöste Verhaltensmuster scheint von den in der Umgebung vorhandenen Objekten abzuhängen und ist immer an diese Objekte angepasst. Ein Austausch der vorhandenen Objekte, zum Beispiel der Austausch von Trockenfutter gegen eine Tränkvorrichtung, verursacht ein sofortiges "Umschalten" des Verhaltens.

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