Experimentelle Untersuchungen über die Physiologie der Carotisdrüse beim Menschen


J. Jacobovici; I.I. Nitzescu; A. Pop
In: Zeitschrift für die gesamte experimentelle Medizin, Band 66, S. 359-372, Berlin 1929

1. Der 1. Versuch ( Abb.1 ) wurde an einem Epileptiker von 23 Jahren in Äthernarkose, nach vorausgegangener subcutaner Morphiuminjektion von 0,02 g angestellt. Es wurde die rechtseitige Carotisdrüse präpariert und der arterielle Druck im linken zentralen Ende der Radialis registriert. (...) Es wurden nacheinander sowohl der Sinus wie auch die Drüse elektrisch und mechanisch gereizt. Die Reizung des Sinus geschah auch vor der Präparierung und Isolierung der Drüse. Die öfters wiederholte, auch intensivere faradische Reizung des Sinus war von keiner Änderung des arteriellen Druckes gefolgt ( Abb. 1-3 ).

Auch die Kompression des Sinus zwischen den Fingern erzeugt keine ausgesprochene Veränderung des Blutdruckes. Im Gegenteil verursachte die schwache faradische Reizung, in kleinen Zeitabständen wiederholt, eine ausgesprochene Senkung des Blutdruckes, gefolgt von einer leichten Abnahme der Zahl der Herzschläge, die, wenn die Reizung aufhörte, allmählich zur Normalen zurückkehrten ( Abb. 1 ( 4, 5, 6, ) ). Die mechanische Reizung, durch Kompression der Carotisdrüse mit der anatomischen Pinzette, erzeugte gleichfalls eine Tendenz zur Abnahme des Blutdruckes. Nach Entfernung der Drüse blieb die wiederholte Reizung ihrer Stelle ohne Erfolg ( Abb. 1 ( 7 )). (...)

2. Der 2. Versuch wurde an einem 26jährigen Patienten mit dementieller Psychose angestellt. Derselbe hatte auch eine andauernd ausgesprochene vasculäre Hypotension von 90/60 mm ( Vaquez-Laubry ), von einer Neigung zu leichter Bradykardie begleitet. Es wurde die rechte Carotisdrüse präpariert und der intraradiale Druck derselben Seite registriert. (...) Auch bei diesem Patienten erzeugt die faradische Reizung der Drüse, mehrmals wiederholt eine Senkung des Blutdruckes, wie es aus Abb. 2 und 4 ( 16 ) ersichtlich ist. (...) Auch die mechanische Reizung, durch digitale Kompression der Drüse allein, erzeugt eine Hypotension, jedoch weniger betont ( Abb. 3 ). (...) Am Ende des Versuches erzeugt die mechanische Reizung der Drüse durch Druck mit der anatomischen Pinzette, während ihrer Isolierung und Entfernung, gleichfalls einen depressorischen Reflex, wie es aus Abb. 5 ersichtlich ist. (...)

Wir müssen noch folgendes, für unsere Schlussfolgerungen besonders wichtige Resultat erwähnen. Der arterielle Druck erhob sich in den ersten Tagen nach der Operation bis zu 140 mm Hg systolischem und 90-95 mm Hg diastolischem Drucke ( Vaquez-Laubry). Nachher blieb der Druck länger als einen Monat bestehen, während der Beobachtungszeit des Patienten, und auch später andauernd auf der Höhe von 105-110/75-80. Auch die Pulsfrequenz zeigte eine Neigung zur Erhöhung, jedoch weniger betont als bei dem Drucke. (...)

4. Einen andern Versuch stellten wir an einem Epileptiker von 19 Jahren an, bei dem wir die rechte Carotisdrüse in Äthernarkose nach vorheriger subcutaner Morphiuminjektion ( 0,02 g ) präparierten. Es wurde der intraradiale Druck derselben Seite registriert. Die Drüse wurde schnell identifiziert. (...). Ihre faradische Reizung erzeugte jedes Mal einen sehr schönen depressorischen Reflex ( Hypotension und Beschleunigung der Herzschläge ), wie es aus Abb. 6 sehr klar ersichtlich ist. (...)

Auch dieser Epileptiker zeigte vor dem Eingriff einen leicht erniedrigten arteriellen Druck: 110/70 ( Vaquez-Laubry ). Nach der Operation steigt der Blutdruck in den ersten 3-4 Tagen auf 140/85-90 und verbleibt stationär auf 130/80, also im Vergleich zum präoperatorischen Zustand erhöht und von normalem Niveau.

5. Den 5. Versuch machten wir an einem 27jährigen Epileptiker in Äthernarkose. Der arterielle Druck wurde an der Drüse der gleichseitigen Radialis registriert. Es wird der rechte Sinus caroticus präpariert. (...) Der Glomus caroticus war durch ein kleines Knötchen vertreten, im hinteren oberen Teil des Sinus. Er war schwer aufzufinden und wurde durch faradische Reizung identifiziert. Durch letztere erhielten wir einen depressorischen Effekt mit Hypotension und Bradycardie, wie es aus Abb. 8 ( Anmerkung: Bilder vertauscht, es muß heißen: Abb. 7 ) ersichtlich ist. (...)

6.Der 6. Versuch wurde an einem 59jährigen Patienten gemacht, während einer Strumektomie wegen Struma cysticum. (...) Die faradische Reizung von sehr kurzer Dauer, infolge der Unruhe des Patienten, ist von einem depressorischen Reflex ( Abb. 9 ) (...)

Aus dem Studium der erhaltenen Kurven - von denen nur ein kleiner Teil in dieser Arbeit dargestellt wurde - ergibt sich klar, daß die faradische Reizung der Carotisdrüse beim Menschen immer einen depressorischen Reflex hervorruft, d.h. ein Sinken des Blutdruckes gleichzeitig mit einer mehr oder minder deutlichen Verminderung der Herzschläge; wenn der Reflex aufhört, steigt der Blutdruck allmählich wieder zur normalen Höhe. Diese Reaktion auf den faradischen Reiz erscheint uns so sehr charakteristisch, daß wir ihn dazu verwendet haben, um mit der Reizelektrode in der Hand die Wunde zu durchforschen und derart die Drüse zu finden, wenn die im umgebenden Gewebe schwer aufzufinden war. (...)

( Wir halten ) uns berechtigt zu folgern, daß der Glomus caroticus, beim Menschen wenigstens, die Rolle eines Rezeptionsorganes für die Reize, welche von der Carotisgabel ausgehen, spielt. Druckreize - vielleicht auch solche anderer Natur - von den rezeptiven Zellen der Drüse aufgenommen, werden zum bulbären Zentrum durch die Nervenäste, welche zu ihr führen ( aus dem 9. G.N.-Paar, dem Sympathicus und Vagus ), weitergeleitet. Der durch ihre Vermittlung entstehende Reflex äußert sich im Sinken des Blutdruckes und Verlangsamung der Herzschläge; es ist somit ein depressorischer Reflex. Die depressorischen Carotissinusreflexe wären somit eher Glomus- ( Carotisdrüsen- ) Carotisreflexe. Durch diese Reflexe käme der Carotisdrüse eine bedeutende Rolle in der Regelung des Blutdruckes zu; diese lässt den Druck sinken, wenn er aus irgendeinem Grunde ansteigt.

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