Über die biologische Wirkung von Kurzwellen auf das Gehirn und Versuch einer Therapie bei chronischen Gehirnleiden

Paul J. Reiter
In: Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 156: 382-404 (1936), Berlin

In der Kurzwellentherapie hat die ärztliche Wissenschaft in den letzten Jahren ein interessantes und anscheinend wertvolles Hilfsmittel erhalten, dessen Reichweite indessen noch nicht ganz übersehen werden kann. Dank der leicht zu beobachtenden physischen Wirkungen der Kurzwellen haben diese auf sehr ausgedehnten Feldern der Therapie Anwendung gefunden, angefangen von Panaritien bis zu allgemeinen Infektionen, Stoffwechselanomalien und seelischen Störungen. Vielleicht ist der Duft von etwas Sensationellem, von dem letzten neuen Produkt des technischen Schoßkindes unseres Dezenniums, in gewissem Grade bei diesem Erfolg mitwirkend gewesen. Von dem Publikum der ärztlichen Sprechstunde wurde auch nicht selten nach den Kurzwellen gefragt. (...)

(S.385) Der Apparat, den ich bei meiner ersten Versuchsreihe benutzte, war mir von der Firma Siemens mit großem Entgegenkommen zur Verfügung gestellt, wofür der genannten Firma hiermit der beste Dank ausgedrückt sei. Der Apparat, ein kräftiger Ultrapandorosapparat, war auf eine variable Wellenlänge von 3,3-15 m berechnet und leistete bei einer Wellenlänge von 4 m eine Energiemenge von etwa 125 Watt und bei 15 m Wellenlänge eine Energie von 600 Watt. Die Übertragung geschah durch Elektroden, die durch halbsteife Leitungen mit dem Apparat selbst verbunden wurden. (...)

(S.391f) Es war (...) erwünscht, die Einwirkung der Kurzwellenbehandlungen, besonders die Tiefenwirkung auf die vegetativen Zentren des Gehirns, zu untersuchen, wobei man annehmen konnte, daß die letztgenannten durch die Anwendung einer großen rechteckigen Elektrode, die in jeder Schläfenregion in einem Abstand von 2 cm angebracht wurde und das ganze Cerebrum im Felde einschloß, von der Behandlung beeinflusst werden würde.

Zu diesen Untersuchungen wurden als "Normalindividuen" 2 alte stationäre Schizophreniker männlichen Geschlechts, die seit mehreren Jahren relativ ruhig sind, gewählt. Bei diesen Patienten wurde mit einer festen Wellenlänge von 15 m bei dem einen und einer variablen kurzen Wellenlänge bei dem andern gearbeitet, wobei bei dem letztgenannten eine vereinzelte Behandlung mit der Wellenlänge 15 m eingeschaltet wurde. Es wurden im ganzen 19 Behandlungen vorgenommen, in der Regel mit einem Zwischenraum von 2 Tagen, indem man vorsichtig mit einer Besendungszeit von wenigen Minuten begann und im Laufe von 6 Sitzungen bis zu 20 Min. stieg, wo man bei dem Reste des Versuches stehenblieb. Die ganze Behandlung erstreckte sich auf über etwa 6 Wochen. (...)

(S.392f) Die meisten der untersuchten Funktionen verblieben ganz unbeeinflusst. In erster Linie kam es zu keinen messbaren Wirkungen auf die rectale Temperatur, mit Ausnahme von minimalen und inkonstanten Erhöhungen, obwohl das Temperaturzentrum ohne Zweifel der Durchsendung ausgesetzt war und bei der Wellenlänge 15 zugleich, wie man annehmen darf, um mindestens 2-3° erwärmt wurde. Vielleicht darf man auf eine gewisse Einwirkung auf das Temperaturzentrum daraus schließen, daß bei einem Teil der Behandlungen, besonders bei denen mit Wellenlänge 15, oft ein sehr kräftiges, den ganzen Körper umfassendes Schwitzen sich einstellte.(...)

( Es trat ) ein, allerdings nicht konstanter, aber oft feststellbarer und bisweilen recht bedeutender Fall des Druckes ein (...), sowohl in bezug auf den systolischen wie auf den diastolischen Blutdruck. Wo er ausblieb oder wo in einzelnen Fällen sogar eine Erhöhung eintrat, konnte man in der Regel genügende Ursachen hierzu in der Form eines sympathicophilen Affektes, wie Angst oder Zorn über den Versuch, nachweisen. Der größte Fall des Blutdrucks, den wir bei diesen Versuchen konstatieren konnten betrug 28/12 mm. (...)

(S.396) Es tritt während der Behandlung ein recht konstantes Sinken des Blutdrucks auf, das wahrscheinlich als Folge einer durch die Behandlung verursachten Dilatation der Gehirn- und Meningealgefäße, deren Entstehung wiederum wohl am besten durch eine thermische Beeinflussung des Sympathicus der Gefäße erklärt werden muß, aufzufassen ist. (...)
Es kann selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden, daß es ganz bestimmte Wellenlängen mit einer spezifischen, elektiven Wirkung auf das Gehirngewebe und dessen vegetative Zentren geben kann. (...)

(S.398) Der Blutdruck zeigte während der Behandlung (...) ( weiterer Patienten ) eine ziemlich konstante Neigung zum Fallen, bisweilen war diese recht bedeutend, bis zu 50-55 mm.

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