Über die Fernwirkung elektrischer Hochfrequenzströme auf die Nerven

B. Danilevsky; An.Worobjew, Charkow
In: Pflügers Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere 236: S.440-451, Berlin 1935

Seit 1895-1896, d.h. seit der Erfindung der drahtlosen Telegraphie, hatte einer von uns ( B.D. ) Gelegenheit sich systematisch mit dem Studium der Einwirkung des oszillierenden elektrischen Feldes auf die Nerven zu befassen, wobei es ihm gelang eine Reihe neuer Tatsachen bezüglich der Gesetzmäßigkeiten einer solchen induktiven Reizungsart zu sammeln. Die Fernwirkung der Elektrizität auf die Nerven hatte er als "elektro-kinetisch" bezeichnet, zum Unterschied von dem üblichen Elektrokontaktverfahren, bei dem die Elektroden unmittelbar den Nerv berühren.

Es können also elektrische Wellen, die z.B. von einer Elektrode ( Hochfrequenz ) in den Raum abgesandt werden, in einem sich in diesem elektrischen oscillierenden Felde befindlichen Nerven eine Erregung wachrufen, sogar bei bedeutendem Abstand desselben von der Quelle der Hochspannungsströme. In diesem Falle entsteht die Erregung infolge einer Induktion, die im neuromuskulären Präparat Ströme von genügender Aktivität produziert. Dabei liegt eine vollständige Analogie mit der elektro-kinetischen Reizung vor, welche durch Ströme von geringer Frequenz unipolar durch eine Antenne des Ruhmkorff-Induktoriums hervorgebracht werden.

(...) ( Cluzet und Chevalier gelang es ) mittels Elektronendetektoren ( Anmerkung: Es handelt sich bei den Elektronendetektoren wohl um Gleichrichter. M.B. ) neue Ströme zu erzielen, die hochfrequent und von hoher Spannung waren (...), deren Richtung aber konstant ohne Wechsel war. Diese oft unterbrochenen Ströme - "courants de haute fréquence á sens constant - wirken auf das Galvanometer, laden Kondensatoren und rufen Elektrolyse hervor, haben aber auch eine physiologische Wirkung im Gegensatz zu den gewöhnlichen "Hochfrequenzströmen" welche "weder die Motilität, noch die Sensibilität beeinflussen". Sie reizen beim Kontaktverfahren die Nerven und Muskeln und können sogar beim Menschen einen starken Tetanus hervorrufen, aber keine Schmerzempfindung; dieser Strom kann bis 10 min. ausgehalten werden. (...)

Die neuesten Untersuchungen von H. Ballin ( Leipzig 1927 ) ( haben ) gezeigt, daß die elektrodenlose, d.h. elektrokinetische Wechselstromreizung grundsätzlich denselben Gesetzen der gewöhnlichen Kontaktreizung mit Wechselströmen gehorcht. (...)
E. Schliephake ( 1929 ) beobachtete eine Unruhe und gesteigerte Beweglichkeit bei Ratten und Mäusen, die sich im Kurzwellen-Kondensatorfeld befinden; weiter aber stellte sich eine Erschlaffung ein. Nach der Bestrahlung entstand eine außerordentlich nervöse Reizbarkeit. Die Hauptwirkung der elektrischen Wellen nach E. Schliephake musste in einer Umsetzung der elektrischen Energie in Wärme gesucht werden ( Frequenz von 20-100 Millionen Hertz pro Sekunde ). Später entdeckte er aber auch spezifische, sogar elektive biologische Wirkungen. Dasselbe fand auch S. Jellinek im sehr schwachen Kondensatorfelde von nur 3-4 Watt!

An sich selbst konnte Schliephake nach sehr intensiver Beschäftigung mit Kurzwellenversuchen eine zunehmende nervöse Reizbarkeit wahrnehmen; trotz starker Mattigkeit wurde der Schlaf unruhig und schlecht. (...) ( Wir beschlossen Diathermieströme der Wellenlänge 400-600 m ) einer Untersuchung zu unterziehen, namentlich einer solchen mit Anwendung des elektrokinetischen Verfahrens, d.h. wir wollten dieselben aus einiger Entfernung durch die Luft auf die Nerven einwirken lassen, ohne irgend einen Kontakt der Diathermieelektroden mit den Nerven herzustellen. (...)

In unseren Versuchen mit Fernwirkung auf den Nerv gebrauchten wir gewöhnlich so schwache Diathermieströme, daß eine unmittelbar an den Handteller gedrückte Glaselektrode in demselben beinahe keine Wärmeempfindung wachrief. Meist wendeten wir eine Kondensator-Glaselektrode an, die am Ende eine flache Erweiterung in Form einer Scheibe von 4 1/2 cm Durchmesser besaß. Der freie Abstand zwischen dem Nerven und einer solchen Elektrode betrug gewöhnlich 40-50 cm; die physiologische Aktivität gab sich aber schon bei einem Abstand von 150 cm kund, wenn kleine Diathermieapparate angewendet wurden; beim Gebrauch eines großen Apparates waren es sogar bis 400 cm ( s.u. )

Unsere Experimente stellten wir an Warmblütern ( Kaninchen, Katze, N. ischiadicus ) und an Kaltblütern an. Aufgabe der Versuche war die Klärung zweier Fragen: 1. Kann der Diathermiestrom aus der Entfernung als Nervenreiz dienen und 2. kann er beim Ausbleiben wahrnehmbarer Erregung unter denselben Bedingungen auf die Erregbarkeit des Nerven einwirken?

1. Der Diathermiestrom als Nervenreiz. Bei einer Entfernung von 1-2 cm vom Nerven rief die Diathermie-Glaselektrode ( Kondensator ) noch keine Muskelkontraktionen hervor, falls ein Strom von geringerer der mittlerer Stärke gewählt wurde. Bei Steigerung der Stromstärke oder bei Annäherung der Elektrode auf weniger als 1-2 cm vom Nerven erzielten wir eine Funkenemanation, die Muskelkontraktion hervorrief. Letztere waren höchst unregelmäßig wie auch die Funken selbst. Offenbar kamen unter den "Hochfrequenzströmen" infolge der unregelmäßigen Arbeit des kleinen Apparates auch solche von minderer Frequenz vor.
Die Diathermieströme können offenbar unter den genannten Bedingungen den motorischen Nerv eines Frosches reizen, was, wie oben erwähnt, auch in Bezug auf die Ströme von d´Arsonval bewiesen worden ist. Rückt man jedoch die Kondensator-Glaselektrode in einen Abstand von 3-4 cm vom Nerven, so wird keine merkbare Reizung mehr auftreten, die Muskeln verbleiben vollständig ruhig.

2. Einfluß der Diathermieströme aus der Entfernung auf die Erregbarkeit des Nerven. Über diese Frage fanden wir in der Literatur keinerlei, weder experimentelle, noch elektrotherapeutische Angaben. Schon a priori erschien wahrscheinlich, daß mit zunehmendem Abstand zwischen Nerv und Elektrode die Reizung abnehmen werde, um allmählich in die Phase einer bloßen Erhöhung der Erregbarkeit überzugehen. Dies wurde durch unsere Versuche vollkommen bestätigt.

A. Versuche an Fröschen
Die Versuchsanordnung war die folgende: das neuromuskuläre Präparat eines Frosches ( Ischiadicus nebst Extremität ) wurde auf eine Paraffinplatte gelagert, die Extremität mit einem Schreibhebel verbunden; ein vom Präparat ( Nerv ) abgehender Draht konnte (...) entweder mit der Erde oder mit einem isolierten großen Kondensator verbunden werden. Unter den Nerven wurden Platinelektroden geschoben und fixiert, die mit der sekundären Rolle des Schlitteninduktoriums von du Bois-Raymond ( in genügender Entfernung ) in Verbindung gebracht waren. In die primäre Kette diese Apparates wurde ein Metronom mit Platin-Quecksilberkontakt eingeschaltet, wodurch im Nerv rhythmische, regelmäßig-periodische frequente Reizungen mit einem faradischen Strom erzielt wurden; solche "Probereizungen" erfolgten etwa 1-2 mal in 1 Min. und dauerten je 0,7 Sek.

Vor Beginn der Diathermiestromwirkung stellten wir auf die angegebene Weise den Schwellenwert der faradischen "Probereizung" fest. Wir konnten also während langer Zeit genau die Änderung der Nervenerregbarkeit verfolgen, da nach unseren früheren Versuchen die Eigenschaften des Muskels sich unter den gegebenen Bedingungen nicht ändern. (...)
Wir müssen hervorheben, daß die Diathermieströme an und für sich, ohne die erwähnten Probereizungen, unter diesen Versuchsbedingungen keine ausreichende Reizung hervorbrachten; alle Muskelkontraktionen wurden ausschließlich durch regelmäßige faradische "Probereizungen" bedingt und die Änderungen der Kontraktionshöhen hingen nur von den Schwankungen der Erregbarkeit des Nerven ab. (...)

Der Versuch begann mit der Einstellung einer gewöhnlichen bzw. subminimalen faradischen "Probereizung", der sich während einer gewissen Zeitspanne eine "Hochfrequenzbestrahlung" zugesellte; war dieselbe beendet, so wurden schon allein die rhythmischen Probereizungen von derselben Stärke und demselben Tempo weiter wie vorher fortgesetzt. In einigen Versuchen unterbrachen wir ( der Kontrolle halber ) die " Probereizungen" während der Bestrahlung, wonach sie aufs neue fortgesetzt wurden, um die "Nachwirkung" des Diathermiestromes festzustellen. Die Ergebnisse dieser Versuchsreihe lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

1. Unter dem Einfluß einer Bestrahlung aus einer einzelnen Diathermieglaselektrode, (...) sogar wenn dieselbe nur von kurzer Dauer ( nur von einigen Sekunden ) war und bei einem Abstand von 50-100 cm zwischen der Elektrode und dem Nerv-Muskelpräparat, sah man sofort eine deutliche Steigerung der vorhin minimalen Muskelkontraktionen auftreten, welche durch periodisch-wiederkehrende faradische Probereizungen des Nerven, von beständiger Stärke und gleichem Rhythmus hervorgebracht wurden. Waren diese Reizungen subminimal, so daß keine "Probekontraktionen" des Muskels ohne Bestrahlung bemerkbar waren, so kamen letztere unter dem Einfluß einer Kondensator-Elektrode sogleich zum Vorschein und hatten beträchtliche Höhen. Hatten die "Probereize" noch vor der Bestrahlung Kontraktionen einer bestimmten Höhe ergeben, so stiegen dieselben während der Bestrahlung noch an und erreichten Werte, die ums 5-10fache und noch mehr höher waren. Dauerte die Bestrahlung länger, z.B. 20-30 Sek. und mehr, so nahmen die Kontraktionshöhen ebenfalls beträchtlich zu. Andererseits aber genügte schon eine 1-2 Sek. lange Bestrahlung um schon bei einer derartigen kurzen Einwirkung ein deutlich positives Ergebnis zu erzielen. ( Abb. 1, 2 u. 3 ).

Nach Ablauf der Bestrahlung rufen dieselben fortgesetzten "Probereizungen" relativ sehr geringe Muskelkontraktionen hervor, beinahe solche, wie sie vor der Bestrahlung erzielt wurden, mit anderen Worten, sinkt die erhöhte Erregbarkeit des Nerven sogleich bis zu der anfänglichen Höhe, die vor der Bestrahlung bestand. Nur in relativ seltenen Fällen kehrten die erhöhten Muskelkontraktionen nach beendigter Bestrahlung nicht sofort zur Norm zurück, sondern sanken - manchmal nach anfänglicher Zunahme ( Abb. 3 ) - erst allmählich ab.

Kontraktionshöhen ( mm ) nach minimalen "Probereizungen".
1. Norm..........................................2-3-3-2-1-2-3.
2. Während der Bestrahlung............10-21-8-8-7-14-14-7-20.
3. Sofort nach der Bestrahlung.........1-1-1-2-1-2-2-2-1-2.

In unseren Versuchen konnte man leicht erkennen, daß die Änderungen der Kontraktionshöhen, welche bei der Bestrahlung so unregelmäßig waren, ceteris paribus streng mit dem jeweiligen Abstand Schritt hielten: je näher die Glaselektrode dem Nerven ist, desto höher werden die "Probekontraktionen" und umgekehrt. In einem Versuch hatte eine 5-10 Sek. dauernde Bestrahlung eine enorme Steigerung der Erregbarkeit des Nerven bedingt, die Muskelkontraktionen nahmen bedeutend zu, obwohl die Kondensator-Glas-Diathermieelektrode 116 cm weit vom Nerv abstand. Die Versuche zeigten uns nun endlich, daß sogar bei geringerer Stärke des Diathermiestromes eine Erhöhung der Muskelkontraktionen sich bei einem Abstand von 140 cm und mehr zwischen Nerv und Glaselektrode zeigte, ohne jegliche Vermittlung irgendwelcher intermediären leitenden Massen. Eine unerlässliche Vorbedingung derartiger Versuche mit solcher minimalen Bestrahlung besteht in einer Verbindung des Nerven mit der Erde ( Kapazitive Erdung ) mittels eines Leiters, wodurch der physiologische Effekt der Bestrahlung beträchtlich gesteigert wird ( Abb. 2 )

Kontraktionshöhen ( mm ) bei minimalen "Probekontraktionen".
1. Norm..................................................1-1-2-2-1-2-2-2.
2. Bestrahlung ohne Erdung.....................9-8-3-4-4-2-5-4-3.
3. Bestrahlung mit Erdung.......................24-13-15-5-14-10-16-28-15.
4. Nach der Bestrahlung.......................... 1-2-1-1-2-2-1-1-2.
( Zwischen 2 und 3 eine Pause. )

Wir halten es also für unzweifelhaft, daß elektrische bzw. elektromagnetische Wellen, die von einer Kondensator-Glaselektrode ausgehen, sogar wenn sie so schwach sind, die Erregbarkeit des Nerven, ungeachtet des relativ so großen Abstandes, steigern. Dies beweist einerseits eine hohe physiologische Aktivität solcher Schwingungen, andererseits aber große Empfindlichkeit des Nerven ihnen gegenüber. Wenn die Bestrahlung eine derartige physiologische Wirksamkeit offenbart, so ist überhaupt daraus zu schließen, daß ihre Energie von dem Organ assimiliert wird. Dieser Satz gilt bekanntlich für die biologischen Einwirkungen der Strahlenenergie überhaupt. Die speziell angestellten Versuche ( B.D. ) mit Curare haben schon seit langem bewiesen, daß es eigentlich die Nervensubstanz selbst, nicht aber die Muskeln an und für sich sind, die eine so große Empfindlichkeit zu der Wirkung sogar schwacher elektrischer Wellen oder eines variablen elektrischen Feldes kundgeben.

2. In den Fällen, wo die Stärke der Bestrahlung groß war, wenn die Elektrode nahe genug, z.B. in einem Abstand von 15-20 cm, an den Nerv herangebracht war, und wo die Bestrahlung lange genug anhielt ( 15-20 Sek. und mehr ), wurde seitens der Erregbarkeit des Nerven ein genau entgegengesetzter Effekt erzielt, sie fiel nämlich manchmal sofort und sehr steil bis auf 0; die Muskelkontraktionen von denselben faradischen Probereizungen hörten auf. Sobald die Bestrahlung aber eingestellt wurde, die Probereizungen aber wie gewöhnlich fortdauerten, erschienen die Kontraktionen aufs neue; sie steigerten sich allmählich und erreichten wieder die Norm, die vor der Bestrahlung bestand. Eine starke Bestrahlung ruft also eine zeitweilige Depression der Nervenerregbarkeit hervor; während einer langdauernden Bestrahlung kann die Depression sehr stark bleiben, 60 Sek. und mehr, solange die Bestrahlung fortgesetzt wird.
Es ist eine interessante Tatsache, daß die Kontraktion nach einer langen Depression bisweilen sogar höher als vor derselben bzw. vor der Bestrahlung waren.

Kontraktionshöhen ( mm ) von faradischen "Probereizungen".
1. Norm................................................8-6-7-6-5-7
2. Während der Bestrahlung...................8-9-10-6-5-4-3-2-2.
3. Nach der Bestrahlung........................2-3-2-3-2-2-1-2
Depression bemerkbar in der zweiten Periode der Bestrahlung

Es muß daran erinnert werden, daß die schmerzlindernden Effekte von den Elektrotherapeuten durch unmittelbare Durchleitung der Diathermieströme durch den Körper mit Kontakten schon lange erzielt wurden; in unseren Versuchen aber wurde die Depression der Nervenerregbarkeit aus einer gewissen Entfernung, d.h. durch Elektrokinese, ohne Berührung des Nerven hervorgerufen.

3. Einfluß eines dazwischengeschobenen Schirms. Wird zwischen dem neuromuskulären Präparat und der Kondensatorelektrode ein vertikal aufgestelltes Metallblech eingeschoben, das mittels eines Drahtes mit der Erde verbunden ist, so hört die Bestrahlung vollkommen auf, den Nerv zu beeinflussen; die Probekontraktionen der Muskeln bleiben an sich unverändert. Sobald der Kontakt zwischen Metallblech und Erdboden aber aufgehoben ist, oder sobald dasselbe ganz beseitigt wird, macht sich der gewohnte Effekt bemerkbar; die Erregbarkeit wird gesteigert, und die Kontraktionen werden stärker ( s. Abb. 4 )

Eine solche Dämpfung der elektromagnetischen Induktion des Nerven durch einen leitenden Schirm machte sich auch in früheren Versuchen ( B.D. ) mit elektrokinetischer Reizung mittels einer Antenne des Ruhmkorff-Induktoriums bemerkbar ( l. c. ). Bekanntlich sieht man dasselbe auch, wenn man den Nerv durch ein Geißlersches Rohr ersetzt; die Strahlung desselben wird durch Einschaltung eines Schirmes unterbrochen.

4. Versuche mit einem großen diathermischen Apparate vom Typus Thermoflux S 2 der Firma Siemens, Reiniger und Veifa.
Wir arbeiteten dabei mit zwei einzelnen Elektroden, die am Ende Kupferscheiben hatten, welche als Vibratoren dienten. Die sonstige Versuchsanordnung war wie zuvor.
Starke Effekte, in Form einer bedeutenden Steigerung der Muskelkontraktionen erzielten wir in Versuchen, in denen die beiden Diathermie-Elektroden ganz voneinander getrennt und durch einen großen Abstand ( 2-4 m und mehr ) voneinander isoliert waren. Bei derartigen Beobachtungen befand sich die eine Elektrode sehr weit vom Nerv, während die andere aktive in einen Abstand von 70-80 cm von ihm angebracht wurde; diese Versuchsanordnung entsprach mehr dem unipolaren Einwirkungsverfahren. Das Ergebnis war eine bedeutsame Steigerung der Muskelkontraktionen. Je näher die aktive Elektrode an den Nerv gebracht wurde, desto stärker war die Steigerung der Nervenerregbarkeit infolge der Bestrahlung - und umgekehrt. Auch in diesen Versuchen sahen wir wiederholt, daß die Restitution der normalen Erregbarkeit des Nerven nach langdauernder Einwirkung der Bestrahlung relativ langsam erfolgte.

In einigen Versuchen wurden die Elektroden-Vibratoren in einem Abstand von je 75 cm beiderseits des Nerven so aufgestellt, daß das Nerv-Muskelpräparat zwischen den beiden zu stehen kam. In solchen Fällen wurde eine maximale Steigerung der Erregbarkeit des Nerven erzielt; die Muskelkontraktionen stiegen vom ersten Augenblick der Bestrahlung auf eine enorme Höhe, obwohl sie von denselben faradischen Probereizungen stammten, die vor der Bestrahlung nur minimale Höhen ergaben. (..)
Die genannte beträchtliche Steigerung der Nervenerregbarkeit durch beiderseitige bipolare Bestrahlung lässt sich auch bei sehr großen Abständen der Elektroden vom Nerven - 150 cm einerseits und 450 cm andererseits - beobachten.

Zur Klärung der Frage über die Geschwindigkeit, mit der eine diathermische Bestrahlung den erwähnten physiologischen Effekt zustande bringt, stellten wir spezielle Versuche mit derselben bipolaren Einstellung ( je 100-120 cm Abstand ), aber mit sehr kurzem Schluß der primären Kette an, wobei die Stärke des Diathermiestromes auf ihr Maximum gebracht war. Es hat sich ergeben, daß eine sehr kurze Dauer der Bestrahlung während nur einiger Zehntelsekunden ( etwa 0,2-0,3 Sek. ) genügten, um die minimalen Probekontraktionen bei genügender Frequenz der "Probeinduktionsschläge" sofort in starke Muskelzuckungen zu verwandeln. Eine sehr kurze Bestrahlung genügte folglich um eine bedeutende Erhöhung der Nervenerregbarkeit zu erzielen. (...)

B. Versuche an den motorischen Nerven von Warmblütern.
Bei einem Tier, Kaninchen oder Katze, das enthauptet ( künstliche Atmung ) oder mit Chloralhydrat narkotisiert war, wurde der N. ischiadicus auf einer großen Strecke entblößt und möglichst hoch durchtrennt; das distale Ende wurde auf die unbeweglichen Elektroden eines Schlittenapparates gelegt, um kurze faradische Probereizungen durch den Nerv periodisch zu leiten; die Muskeln wurden mit einem Schreibhebel in Verbindung gesetzt. Das freie Ende des distalen Nerven wurde mit dem Erdboden oder mit einem großen isoliert aufgestellten Kondensator in Leitung gebracht. Auf diese Weise konnte der auf einige Zentimeter in der Luft schwebende freigelegte Nerv leicht der Bestrahlung unterworfen werden. Im übrigen war die Versuchsanordnung die gleiche wie beim Frosch.

Die Ergebnisse dieser Versuche waren ganz denjenigen analog, welche am neuromuskulären Froschpräparat erzielt worden waren: Auch beim Warmblüter steigert die Bestrahlung bedeutend die Erregbarkeit des motorischen Nerven, was aus der deutlichen Zunahme der Muskelkontraktionen erhellt. Die Myogramme nahmen manchmal sogar einen tetanischen Charakter an falls die Bestrahlung genügen stark und der Nerv in Kontakt mit dem Erdboden ist. Bei diesen Versuchen beobachteten wir auch Depressionserscheinungen, wie bei den Versuchen an Fröschen, wenn die Bestrahlung bedeutend verstärkt wurde.

Kontraktionshöhen ( mm ) bei minimalen faradischen Probereizungen
1. Norm....................................................4-3-4-2-4-5-2-4-3-2.
2. Während der Bestrahlung.......................24-12-6-14-12-9-6-12-28.
3. Nach der Bestrahlung.............................2-3-4-2-2-3-4-3-2-2-2.

Entfernten wir die Elektrode 60-70 cm oder noch mehr vom Kaninchen, so ließen wir damit die Höhen des Myogramm bis zum Minimum und je nach den Versuchsbedingungen bis auf 0 herabsinken. Ist eine hohe Frequenz der wechselnden elektrischen Schwingungen, die im Nerven durch einen Diathermiestrom induziert werden, ein Hindernis für die Wanderung der Ionen ( für die Änderung ihrer Konzentration in verschiedenen Schichten der Substanz und daraus für die Entstehung einer Erregung nach Nernst ), so fördern dieselben Schwingungen dennoch eine Erhöhung der Erregbarkeit, indem sie die Beweglichkeit der molekularen Nerventeilchen ( "Neurophoren" ) steigern.

C. Beeinflussung der Reflexe durch Diathermieströme aus einer Entfernung
Der Einfluß des elektromagnetischen Feldes auf das Zentralnervensystem bietet an und für sich ein interessantes Problem, zu dem die oben angeführten Resultate eine genügende Einleitung bilden können. (...)
Unsere Beobachtungen führten wir an Fröschen aus, bei denen durch voraufgegangene Dekapitation oder einen Schnitt durch das Mittelhirn die willkürlichen Bewegungen beseitigt waren. Die hintere Extremität wurde mit einem Schreibhebel in Verbindung gesetzt. Reflektorische Bewegungen derselben wurden, wie in den Versuchen an Nerven, durch "Probefaradisation" erzielt, die wie sonst von konstanter Stärke waren und mit periodischer Regelmäßigkeit durch die vordere Extremität durchgeleitet wurden. Die reflektorischen Bewegungen des Hinterbeins zeichneten sich durch große Regelmäßigkeit aus. (...) Hatten wir die Stärke der Probereizung fixiert, so begannen wir den Frosch ( vom Rücken aus ) zu bestrahlen, wobei die Kondensator-Glaselektrode etwa 20-30 Sek. lang in einem Abstand von 10 bis 15 cm und mehr gehalten wurde.

Was die Ergebnisse anbelangt, so ließ sich nur in seltenen Fällen eine deutliche Steigerung der reflektorischen Erregbarkeit und dann meist auch nur am Anfange des Versuchs beobachten. Der nämliche schwache Probereiz, der vor der Bestrahlung kaum merkbare Flexion der hintern Extremität hervorrief, ergab jetzt unter Fernwirkung des Diathermiestromes ziemlich bedeutende Muskelkontraktionen: der Reflex steigerte sich. Diese Phase ließ sich übrigens nur eine kurze Zeitspanne sehen; bald trat an ihre Stelle eine ganz deutliche Depression des Reflexes zutage ( Abb. 6 ).

In der Mehrzahl der Fälle offenbarte sich diese Phase beinahe sofort, schon bei der ersten Bestrahlung. Ein Probereiz von ziemlich beträchtlicher Intensität, der vor der diathermischen Bestrahlung starke reflektorische Bewegungen hervorrief, wirkte jetzt immer schwächer und schwächer; die Muskelkontraktionen sanken allmählich bis auf 0 herab, trotz der fortgesetzten, gleichstarken periodischen Probereizungen. Unter unseren Versuchsbedingungen erfolgte die Restitution der reflektorischen Erregbarkeit des Rückenmarkes im allgemeinen ziemlich rasch. Diese Ergebnisse wurden durch wiederholte Beobachtungen an ein und demselben Frosche nicht verändert.

Höhen der reflektorischen Kontraktionen ( mm ).
1. Norm.......................................22-20-21-22.
2. Während der Bestrahlung..........24-17-13-13-14.
3. Nach der Bestrahlung...............13-8-7-8-7-7-6.

Depression der Reflexe während der Bestrahlung ( 2 ) und nach derselben ( 3 ), nach kurzem Anstieg -24 mm in der Periode 2.
Unsere weiteren Versuche erwiesen, daß eine analoge Depression der Erregbarkeit der Nervenzentren auch bei Einwirkung derselben diathermischen Bestrahlung aus einer Entfernung auf die corticalen motorischen Zentren eines Hundes erfolgte. Über diese Versuche soll in einer weiteren Miteilung berichtet werden; einstweilen wollen wir uns damit begnügen hinzuzufügen, daß nach Bestrahlung der Hirnrinde bereits nach einer kurzen Pause nach der Depression eine Restitution der initialen Erregbarkeit der motorischen Zentren der Hirnrinde und sogar eine nachträgliche Steigerung derselben gegenüber der "Norm" erfolgt. Man muß hinzufügen, daß überhaupt die Versuche mit Fernwirkungen der Elektrizität auf die Nerven ( besonders in situ ! ) und Nervenzentren unvergleichlich schwieriger als nach üblichen Kontaktmethoden gelingen.

Ergebnisse

1. Der Nerv eines neuromuskulären Froschpräparates wird die ganze Zeit minimalen periodischen faradischen Reizungen ausgesetzt; wird das Präparat während dieser Zeit aus einer Entfernung von 50-100-200 cm und mehr von der Diathermieelektrode bestrahlt, so werden die Muskelkontraktionen größer; nach der Bestrahlung kehrt die erhöhte Erregbarkeit des Nerven rasch auf die initialen Werte zurück. (...)

2. Eine Verbindung zwischen Nerv-Muskelpräparat und der Erde steigert den Einfluß der Bestrahlung bedeutend.

3. Der erwähnte fördernde Einfluß der Bestrahlung auf die Erregbarkeit der Nerven lässt sich schon bei ganz kurzem ( einige Zehntelsekunden ) Schluß der Kette eines diathermischen Stromes merken.

4. Wirkt die Bestrahlung des Nerven stark, so sieht man einen entgegengesetzten Effekt, nämlich eine scharfe Depression der Nervenerregbarkeit.

5. Dieselben Erscheinungen einer Steigerung der Erregbarkeit des Nerven, wie auch diejenigen ihrer Depression werden auch unter Einfluß der Bestrahlung des N. ischiadicus eines Warmblüters bemerkbar.

6. Unter dem Einfluß der Bestrahlung erleiden die reflektorischen Bewegungen eines Frosches meist nur eine deutliche Depression.

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