Anmerkung: Die Bestrahlung war in diesem Fall so stark, daß es zu einer starken Erwärmung ( 1-2 Grad ) der Körpertemperatur der Tiere kam. Am Ende des Aufsatzes wird über die stärkere Gerinnung des Blutes der bestrahlten Tiere berichtet.

Die Einwirkung kurzer elektrischer Wellen auf das strömende Blut des Kaninchens

v. Oettingen, Kj.; Schultze-Rhonhof, F.
( Aus der Univ. Frauenklinik Heidelberg ) In: Zentralblatt für Gynäkologie, Nr. 36, S. 2245-2251 ( Leipzig 1930 )

Bei dem Versuch, die Wirkung kurzer elektrischer Wellen, wie sie mit dem Kurzwellensender erzeugt werden, an biologischen Testobjekten zu studieren, erschien es besonders interessant, ihren Einfluß auf das strömende Blut kennen zu lernen. Gerade diese Untersuchungen dünkten uns als Auftakt für unsere weiteren Studien wichtig, da das strömende Blut nicht nur bei jeder Allgemein-, sondern auch bei jeder lokalen Bestrahlung Veränderungen erfahren muß, die sich sekundär - z.B. im Sinne der Nekrohormontheorie - auf andere Organe und den Gesamtorganismus auswirken können.(...)

Als Versuchstiere benutzten wir männliche und weibliche Kaninchen, die stets unter den gleichen Futter- und Milieubedingungen gehalten wurden. (...)
In dem aus einer Vene auf der Dorsalseite eines Ohres entnommene Blut wurden die Zahlen der roten und weißen Blutzellen ermittelt und die Senkungszeit nach Westergreen bestimmt. (...)
Zunächst wurde an mehreren Tagen vor Beginn des eigentlichen Versuches bei jedem Tier der Normalgehalt an Blutzellen bestimmt. (...)

Am eigentlichen Versuchstag selbst wurde dann direkt vor Beginn des Versuches nochmals eine Bestimmung der weißen und roten Blutzellen nach Zahl und Art vorgenommen und auch die Senkungszeit des unbeeinflussten Blutes ermittelt. Die nächstfolgende Untersuchung des Ohrvenenblutes erfolgte sofort nach der Besendung, ihr schlossen sich weitere Prüfungen der gleichen Art nach 1, 3, 6, 9 und 24 Stunden an. (...)

Die Versuchstiere wurden in einem Holzkasten so in das Kondensatorfeld gebracht, daß die Tiere immer in toto besendet wurden. (...) Die Dosierung wurde stets konstant gehalten ( Belastung von 16,5 Volt, 1,3-1,6 Amp. im Sekundärkreis, Plattenkondensatorabstand 22 cm, Sendedauer 15 Min ), und die Kraftfeldeinwirkung dabei so gewählt, daß die Tiere vorübergehend deutlich erkrankten, sich aber wieder erholten. (...)
Das Verhalten der roten Blutzellen ist uncharakteristisch. (...)
Zur gleichen Zeit ( wird ) im Blutbild eine starke Schrumpfung der Erythrocyten sichtbar (...). Klieneberger und Carl konstatierten allerdings bei ihren biologischen Untersuchungen am Kaninchen eine sehr geringe Resistenz der Erythrocyten, durch die allein vielfach Schrumpfungserscheinungen im Ausstrichpräparat zustande kommen. Man muß daher sicherlich bei einer Ausdeutung unserer Beobachtungen vorsichtig sein.

Für unsere Annahme spricht aber wohl die Tatsache, daß sich diese eben geschilderten Schrumpfungsvorgänge in den zeitlich späteren Ausstrichpräparaten wieder mehr und mehr zurückbilden. In einigen Fällen kam es nach dem den ersten Anstieg ausgleichenden Abfall nochmals zu einer Steigerung der Erythrocytenzahl, deren Ausdeutung uns aber vorerst nicht möglich erscheint. Im Gegensatz zu dem uncharakteristischen Verhalten der Erythrocyten beobachten wir bei den sehr empfindlichen weißen Blutzellen deutliche Veränderungen, die in allen Fällen sehr regelmäßig und gleichartig in Erscheinung treten. Sie werden durch die Kurvenabbildungen II und III, die wieder an Hand der Mittelwerte aus den Ergebnissen der Einzelversuche hergestellt wurden, graphisch dargestellt.

 

Betrachten wir zunächst die Einwirkung auf die weißen Blutzellen in ihrer Gesamtzahl, so finden wir schon wenige Minuten nach der Besendung einen deutlichen Abfall der Zellzahl, die aber schon 1 Stunde später ( gelegentlich auch erst nach 3 Stunden ) in eine Hyperleucocytose umschlägt. Die höchsten Werte, bei denen es sich durchschnittlich um eine Steigerung der Normalzahl von 8500 auf 11500 handelt, finden sich etwa 6 Stunden nach der Besendung. Dann biegt die Kurve wieder nach unten ab, und schon nach 9 Stunden, zeitweilig aber erst im Verlauf von 24 Stunden, kehrt die Zahl der weißen Blutkörperchen zum Normalwert zurück. In einem Fall, den wir bis zu 72 Stunden verfolgten, resultierte nach 48 Stunden noch ein zweiter Anstieg der Gesamtleukocyten, der dann nach 72 Stunden abermals ausgeglichen war. Diese Erscheinung der zweiten Leukocytenwelle bildet sich, wenn auch dort auf längere Zeiträume verteilt, gelegentlich ebenfalls nach Röntgenbestrahlung.

Die einzelnen Zellgruppen des weißen Blutbildes sind an diesen Veränderungen durchaus nicht gleichmäßig beteiligt. Ermittelt man zunächst den prozentualen Anteil der einzelnen Zellelemente am Differentialleukocytenbild, also ihre relativen Werte, so findet man mit großer Regelmäßigkeit in den ersten 3 Stunden nach der Besendung einen starken Lymphocytensturz, dessen Ausgleich sich im Kurvenverlauf in einer anfänglich starken, dann allmählich abflachenden Aufwärtsbewegung darstellt. Nach 24 Stunden sind die Ausgangswerte wieder erreicht.

Im Gegensatz hierzu zeigen die pseudoeosinophilen Zellen ein nahezu reziprokes Verhalten. Es resultiert in den ersten 3 Stunden eine starke Hyperleukocytose, die dann gleichfalls im Ablauf von 24 Stunden schwindet ( Kurvenabbildung III ). (...)
In der Kurvenabbildung II sind neben der Gesamtzahl der weißen Blutzellen die absoluten Zahlen der Lymphocyten, der pseudoeosinophilen Leukocyten und der Monocyten durch besondere Kurven dargestellt. Bei dieser Art der Betrachtung zeigt es sich, daß die initiale Gesamtleukopenie in der Tat vor allem eine Folge des sofort nach der Besendung einsetzenden Lymphocytensturzes ist und - dies wird aus der Kurve der Mittelwerte nicht ersichtlich - daß sie nur ganz gelegentlich auch durch einen anfänglichen schwachen Abfall der Pseudoeosinophilen mitbedingt ist. Das weiterhin zu beobachtende Steigen und spätere Fallen der Gesamtzahl der weißen Blutzellen hängt aber, wie die entsprechenden Kurvenlinien zeigen, fast ausschließlich von der Zu- oder Abnahme der Pseudoeosinophilen ab. (...)

Noch ein kurzes Wort über die Beeinflussung der Gerinnung und Senkung des Blutes. Eine Bestimmung der Gerinnungsfähigkeit mittels einer der bekannten Methoden haben wir allerdings nicht vorgenommen. Kurz nach der Besendung ist aber die Steigerung der Blutgerinnung so ausgesprochen, daß sich die Tatsache dem Untersucher bei der Blutentnahme geradezu störend aufdrängt. Das zeigt sich besonders dadurch, daß das in gewohnter Weise für die Aufhebung der Gerinnung mit Natriumzitrat versetzte Blut zu dieser Zeit in fast allen Fällen in kürzester Zeit gerinnt, während die gleichen prozentualen Zitratzusätze bei denn zeitlich später vorgenommenen Blutentnahmen wieder durchaus zur Gerinnungsverhinderung genügen. Die Blutgerinnungsfähigkeit ist also im Anschluß an die Besendung oder 1 Stunde später am stärksten. Es erscheint naheliegend, anzunehmen, daß der nach der Kurzwelleneinwirkung rasch eintretende Zellzerfall im Blut und in den blutbereitenden Organen, den wir nicht nur aus den Leukocytenzahlen, sondern auch aus den zahlreichen Zelltrümmern im Ausstrichpräparat erschließen, zu der Erscheinung der Gerinnungsbeschleunigung in Beziehung steht.

Die Senkungsgeschwindigkeit ist gleichfalls infolge der Kraftfeldeinwirkung beschleunigt. Die Ergebnisse der Einzelversuche differieren, und zwar findet sich die größte Beschleunigung teils sofort, teils 1-3 Stunden nach der Besendung, während bei den späteren Prüfungen schon wieder ein normales Verhalten zu konstatieren ist. In der nachstehenden Tabelle sind die Zeitwerte der Senkungsgeschwindigkeit an zwei Einzelfällen übersichtlich und eingehender dargestellt.

Tabelle
Verhalten der Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit
Zeitpunkt Weiße
Blutkörperchen
1 Std. 2 Stdn. 3 Stdn. 4 Stdn. 5 Stdn. 6 Stdn. 24 Stdn.
Tier A                
Vor Besendung 8700 1/2 2 -- 4 6 7 16
Sofort nach Besendung 6800 Blut gerinnt sofort, trotz Zusatz von Natriumzitrat
1 Std. nach Besendung 8000 5 8 -- 17 24 30 50
3 Stdn. nach Besendung 10200 2 5 -- 11 13 16 40
9 Stdn. nach Besendung 9600 1/2 2 -- 4 7 9 17
Tier B                
Vor Besendung 8600 2 4 7 10 15 20 --
Sofort nach Besendung 6300 7 12 20 25 32 37 --
1 Std. nach Besendung 9300 2 6 8 11 16 21 --
3 Stdn. nach Besendung 10200 2 4 7 10 14 19 --

Es finden sich also sehr sinnfällige Einflüsse des Kurzwellenfeldes auf das strömende Blut und zwar sowohl auf die korpuskulären Elemente, als auch auf das Plasma. Bei den Zellen sind sie zweifellos am ausgeprägtesten an den Lymphocyten und Spezialzellen zu beobachten. Wir müssen uns vorerst mit der Registrierung dieser Tatsachen begnügen, vermögen wir doch über den Entstehungsmechanismus dieser Veränderungen nichts sicheres auszusagen. Dies ist um so weniger möglich, weil bei der Ganzbesendung der Tiere sicher auch die blutbereitenden Organe alteriert werden und auch die rein thermischen Momente ( Überhitzung ) eine in ihren Ausmaßen gar nicht abgrenzbare Rolle spielen können. (...)

Interessant erscheint uns, daß die von uns beobachteten Veränderungen der Lymphopenie und Leukocytose auch nach Röntgen- und Radiumbestrahlung, ja auch nach intensiver Ultraviolettbestrahlung resultieren und zwar auch dann, wenn bei Teilbestrahlungen die blutbildenden Organe selbst vor jedweder direkten Strahleneinwirkung geschützt waren. Wir sind uns wohl bewusst, daß auch hier trotz des gleichartigen Effektes Analogieschlüsse bei der verschiedenen Art der Strahlung nicht statthaft sind. Trotzdem möchten wir die Vermutung aussprechen, daß es auch durch die kurzen elektrischen Wellen im Kondensatorfeld zu einer direkten Beeinflussung des strömenden Blutes, besonders durch Zerstörung der lymphatischen Zellen, kommt. Diese Annahme ist wohl um so mehr erlaubt, als es sich nach Caspari auch bei dem Untergang der weißen Blutzellen nach Röntgen- und Radiumstrahlungen wahrscheinlich nicht um eine spezifische Radiosensibilität an sich, sondern um eine enorme Empfindlichkeit dieser Zellen gegenüber allen Einflüssen überhaupt handelt. Diesem Zelluntergang folgt dann sekundär - vielleicht als Nekrohormonwirkung - bei reparabler Schädigung eine vorübergehende Reizleukocytose

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