Innersekretorische Beeinflussung der Blutungs- und Gerinnungszeit

E. Schliephake
In: Zentralblatt für Chirurgie 85: 1063-1066, 1960

Seit meinen Untersuchungen gemeinsam mit Weissenberg ist es bekannt, dass die Drüsen mit innerer Sekretion durch Bestrahlung mit Ultrakurzwellen aktiviert werden können. Dies wurde zunächst an Veränderungen des Blutzuckers gezeigt, die nach Durchflutung verschiedener endokriner Organe auftreten. Nach Durchflutung der Schädelbasis bei völlig gesunden Menschen steigt der Blutzucker um 10 bis 30 mg% an und sinkt im Laufe von 2 Stunden wieder ab. Durch Versuche an Tieren und Untersuchungen an Menschen konnte es sehr wahrscheinlich gemacht werden, dass dies im wesentlichen durch eine Anregung der Hypophyse zustande kommt. Durchflutung des Oberbauchs bewirken ebenfalls einen Anstieg des Blutzuckers, wahrscheinlich durch Aktivierung der Alphazellen des Pankreas, vielleicht auch der Nebennieren. Daß die Nebenniere anspricht, geht aus Untersuchungen von Antognetti hervor, der eine starke Vermehrung der Ketosteroide dabei nachwies.

Bei den Tierversuchen war ich wiederholt auf die merkwürdige Erscheinung aufmerksam geworden, dass es oft fast unmöglich war, aus dem Ohr Blut zu entnehmen, und dass auch das Venenblut sehr schnell gerann. Nun ist es seit langer Zeit bekannt, dass sich bei allgemeiner Kurzwellendurchflutung die Blutgerinnungszeit verändert. Hier war aber nur der Kopf isoliert durchflutet oder mit Mikrowellen bestrahlt worden, während die Teile, aus denen das Blut entnommen wurde, außerhalb des Feldes lagen. Im Hinblick auf die obenerwähnten Untersuchungen des Blutzuckers war daher anzunehmen, dass ein Zusammenhang mit der Aktivierung der Hypophyse bestand. Es wurden deshalb Untersuchungen an insgesamt 200 gesunden Personen und Patienten durchgeführt.

Dabei ergab sich, dass bei allen gesunden Personen nach 15 Minuten langer Durchflutung der Schädelbasis sowohl die Blutungszeit als auch die Blutgerinnungszeit erheblich verkürzt werden; 1 bis 2 Stunden später tritt eine Verlängerung auf.
Es wurde ein Gerät Ultratherm der Siemens-Reiniger-Werke benutzt. Die Elektroden wurden an Stirn und Hinterkopf mit 4 cm Luftabstand angelegt, da sich ergeben hat, dass bei diesem Abstand die stärkste Wirkung auf die Hypophyse erzielt wird ( Cignolini ). Die Blutentnahmen wurden 5 Minuten später gemacht. Blutungs- und Gerinnungszeit wurden in der üblichen einfachen Weise bestimmt; bei den meisten Versuchspersonen wurde außerdem die Prothrombinzeit nach Quick bestimmt.

Bei 20 Gesunden weiblichen Geschlechts und verschiedener Lebensalter errechneten wir folgenden Durchschnitt:

Blutungszeit vor der Durchflutung: 1 Min. 40 Sek.
nach Durchflutung: 1 Min. 15 Sek.

Die Gerinnungszeit wurde in noch wesentlich stärkerem Maße verkürzt, sie betrug:

vor Durchflutung: 3 Min. 37 Sek.
nach Durchflutung: 2 Min.   5 Sek.

Bei einer anderen Versuchsreihe von ebenfalls 20 Personen fanden wir die Blutungszeit:

vor Durchflutung: 3 Min.   7 Sek.
nach Durchflutung: 2 Min. 27 Sek.
Gerinnungszeit   vor Durchflutung: 3 Min. 26 Sek.
nach Durchflutung: 1 Min. 53 Sek.

Die Prothrombinzeit war bei den gleichen Personen:

vor Durchflutung: 17,2 Sek.
nach Durchflutung: 16,6 Sek.

Hierbei fällt zunächst auf, wie stark die absoluten Werte für die Blutgerinnungszeit differieren. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass die eine Versuchsreihe im Sommer, die andere im Winter durchgeführt wurde. Die Gerinnungszeiten dagegen liegen in den beiden Versuchsreihen nahe beieinander. Weiterhin fällt auf, dass die Gerinnungszeit des Blutes um etwa 1/3 verkürzt wird, die Prothrombinzeit dagegen nur um einen geringen Wert. Bei dieser Beeinflussung der Blutgerinnung müssen daher andere Faktoren mitspielen als das Prothrombin. (...) Die Verkürzung der Blutungszeit beträgt durchschnittlich 25%. Außer den Gesunden wurden auch Patienten der verschiedensten Art untersucht. Hierbei zeigten sich gewisse Abweichungen. Bei 5 Kranken mit Karzinom ging die Gerinnungszeit von 2 Min. 55 Sek. auf 2 Min. 10 Sek. zurück, der Unterschied war also im Durchschnitt geringer als bei den Gesunden. Die Prothrombinzeit wurde bei 3 von diesen Kranken deutlich verlängert, bei einem verkürzt, bei einem blieb sie gleich. Bei 13 Kranken mit Arteriosklerose und Hochdruck ergab sich kein wesentlich anderes Verhalten als bei Gesunden. Die Blutungszeit wurde durchschnittlich von 2 Min. 56 Sek. auf 1 min. 48 Sek. verkürzt, die Prothrombinzeit von 16,2 auf 15,9 Sek.

Dagegen ergaben sich starke Abweichungen bei 6 Kranken mit frischen Herzinfarkten und Apoplexien. Hier wurde die Blutungszeit nach Durchflutung der Hypophysengegend in 5 Fällen verlängert, einmal blieb sie gleich. Die Durchschnittswerte sind:

Blutungszeit vorher 1 min. 32 Sek., nachher 2 Min. 5 Sek.
Gerinnungszeit vorher 5 Min. 15 Sek., nachher 2 Min. 28 Sek.
Prothrombin vorher 15,3 Sek., nachher 14,9 Sek.

Die Verkürzung der Gerinnungszeit erfolgt somit ähnlich wie bei Gesunden, während die Blutungszeit sich im Gegensatz zu den Gesunden verlängert. Das gleiche Verhalten finden wir bei einer Kranken mit Thrombophlebitis, bei der sich die Blutungszeit von 1 Min. 24 Sek. auf 2 Min. 20 Sek. verlängert.
Bei 4 Kranken mit Hepatitis verkürzte sich die Blutgerinnungszeit auf fast die Hälfte, die Prothrombinzeit wurde in 3 Fällen verlängert, einmal verkürzt.
Bei Vorliegen akut entzündlicher Prozesse war in 4 Fällen die Blutungszeit nur wenig beeinflusst. Bei 11 Kranken mit inkretorischen Störungen verschiedener Art ergaben sich Abweichungen vom Normalen Verhalten nach verschiedenen Seiten.

Bei 7 Rheumatikern fanden wir einen Rückgang der Prothrombinzeit stärker als bei Gesunden ( 17,1:15,7 ). Die Blutungszeit wurde dagegen fast nicht gekürzt ( vorher 2 Min. 36 Sek., nachher 2 Min. 30 Sek.). Bei 6 Patienten mit Magengeschwüren wurde die Blutungszeit nach Hypophysendurchflutung 4mal verlängert, 2mal blieb sie gleich ( Durchschnitt 2 Min. 13 Sek. zu 2 Min. 52 Sek. ), die Prothrombinzeit änderte sich kaum, von 15,9 auf 15,4.; sie zeigte sich bei 2 Fällen verlängert, bei 4 verkürzt.

Eigenartig ist das Verhalten bei 20 Patienten mit vegetativer Dystonie. Bei ihnen trat die Verkürzung der Blutungszeit nicht ein, in 13 Fällen ergab sich sogar eine Verlängerung. Die Prothrombinzeiten waren kaum verändert, die Gerinnungszeit reagierte in verschiedener Weise, meist mit Verkürzung, in einigen wenigen Fällen mit Verlängerung. Es sei betont, dass es sich hier um vorläufige Untersuchungen handelt, die noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit machen können. Was aber aus ihnen einwandfrei hervorgeht, ist die Tatsache, dass Kurzwellen-Durchflutungen der Hypophysengegend einen Einfluß auf die Blutungszeit und auf die Blutgerinnung haben und dass die dabei entstehenden Veränderungen bei gewissen Krankheitszuständen anders ablaufen können als bei Gesunden. (...)

Meine Ergebnisse weisen auf die Zusammenhänge zwischen der Hypophysentätigkeit und den für Blutung und Blutgerinnung maßgebenden Faktoren hin. Untersuchungen von Mogenson und Jacques haben ergeben, dass auch psychische Beeinflussungen, wie starker Lärm, Elektroschock, Fahren in der Eisenbahn, bei Tieren Veränderungen der Blutgerinnungszeit hervorrufen können. Andererseits ist es bekannt, dass Zusammenhänge zwischen den Gerinnungsfaktoren des Blutes und dem Zustand der peripheren Arterien und Arteriolen bestehen. Wir wissen auch durch Versuche von Schunk und Cornelius, dass Lärm und psychische Reize auf die Dauer organische Veränderungen an der Hypophyse hervorrufen können. Es liegt nahe, diese Tatsache miteinander in Verbindung zu bringen. Von der Hirnrinde ausgehende Erregungen können die Hypophyse aktivieren. Aus meinen Untersuchungen lässt sich ersehen, dass von der Hypophyse aus gewisse für Blutungs- und Blutgerinnung maßgebende Faktoren beeinflusst werden. Vielleicht ergibt sich hier bei weiteren Untersuchungen eine Klärung für die Zusammenhänge zwischen Psyche und Erkrankungen der Herzkranzgefäße, zumal wenn wir sehen, dass beim Vorliegen von Infarkten die Reaktion anders ausfällt als bei Gesunden.

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