Spitzel werden - Spitzel sein

Spitzel werden in jedem gesellschaftlichen Bereich eingesetzt, auf der Straße, in Bereichen mit Publikumsverkehr (Verkaufseinrichtungen, Kneipe, Restaurant, Hotel usw.), Berufsleben, Schule, Freundeskreis und natürlich in allen politisch orientierten Bereichen.

Bevor eine Person als Spitzel angeworben wird, geht eine längere Überwachung und Beeinflussung voraus. In dieser Zeit wird geklärt ob sie verwendbar ist oder es wird versucht sie verwendbar zu machen. Es kommt vor dass sie lange Zeit bearbeitet wird. Sie wird durch nachrichtendienstliche Maßnahmen ständig enttäuscht, isoliert, oft auch kriminalisiert. Es werden Bedürfnisse geweckt und ausgenutzt. Nach Anerkennung, materiellen Vorteilen oder dem Wunsch, es denen, die ihr immer so übel mitspielen, heimzuzahlen.

Natürlich ist es nicht immer notwendig eine Person verwendbar zu machen.
Aus: "Schöne Grüße aus Pullach", Helmut Wagner, Berlin 2000 (S. 173)"Auf der anderen Seite spielten "Egoismus, Überheblichkeit, Geldgier, Konsumdenken, Schulden, kriminelle Delikte, außereheliche Beziehungen, andere Fehlverhalten, disziplinarische Maßnahmen" eine Rolle. Solche Verhaltensweisen bedeuteten persönliche Schwachstellen, die auch der BND gern nutzte, um Mitarbeiter zu rekrutieren."

Wer leicht beeinflussbar ist, eine genügende Portion Egoismus mitbringt und gerne alles mitmacht ohne zu hinterfragen, hat gute Karten "vom Staat" um Mitarbeit angegangen zu werden. Der kommt oft in Form eines Bekannten, eines "guten Freundes" oder Familienmitglieds. Man versucht die Anzuwerbenden so früh wie möglich in die Hand zu bekommen. Oft wird man schon mit weit unter 18 Jahren zum Spitzel. Insbesondere in den Fällen, in denen man für Mama und Papa "arbeitet". Leider gibt es Einzelfälle in denen ganze Familien angeworben sind.

In jungen Jahren ist man formbarer und kann einfacher für spätere Verwendungszwecke getrimmt werden. Da in den wenigsten Fällen jemand von einer Behörde kommt, seinen Dienstausweis zeigt und den Anzuwerbenden um eine Unterschrift angeht ist es möglich, auch junge Personen zur Mitarbeit zu bewegen. Es wäre ja illegal, Jugendliche offiziell anzuwerben. Die wenigsten Spitzel wissen ob sie für den Verfassungsschutz oder den Bundesnachrichtendienst arbeiten, sie wissen nur, es ist der Staat der dahintersteckt. Und der ist zu ihnen gekommen, hat sie zur Mitarbeit aufgefordert. Von nun an sind sie bei einer großen Sache dabei, sie sind wichtig, dieses Privileg bekommt nicht jeder. Der Staat bittet sie um Hilfe und vor allem hilft er nun ihnen. Meinen sie.

Auch Erpressung spielt bei der Anwerbung eine Rolle. Konflikte mit dem Gesetz oder vermeintliche gesellschaftliche oder moralische Verfehlungen werden benutzt um Druck auszuüben.

"Schöne Grüße aus Pullach", Helmut Wagner, Berlin 2000
(S. 27ff)"Eine andere Methode der Agentenrekrutierung bestand im Ausnutzen einer wirtschaftlichen Notlage oder charakterlicher Schwächen. Wer trank, war nicht minder erpreßbar wie ein finanziell Abhängiger." (S.113)"Und man sollte DDR-Bürgern, so sie im Ausland waren, entweder Hilfe bieten oder sie observieren. Eine probate Methode war die Vortäuschung eines Ladendiebstahls. Der BND trat dann auf den Plan und engagierte sich bei der Klärung, um im weiteren Teil den solcherart Kompromittierten für den BND anzuwerben."

In den neuen Bundesländern wurden viele Inoffizielle Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit dazu erpresst von nun an für den ehemaligen Klassenfeind zu arbeiten.

"Schöne Grüße aus Pullach", Helmut Wagner, Berlin 2000
(S173)"Oft wurden Personen damit erpresst, dass sie IM des MfS seien oder gegen DDR-Gesetze verstoßen hätten." (S.214)"Staatsschützer waren im Besitz von Personalakten ehemaliger MfS-Mitarbeiter, die sie aus Köln (BfV) erhalten hatten. Der BND operierte mit Adressenlisten von MfSlern und legte inoffiziellen Mitarbeitern (IM) Personalakten auf den Tisch, um sie anzuwerben."

Da konnte man sich einfach nicht weigern. Der Staat ist immer der Staat, sei es der Nationalsozialistische, Realsozialistische oder Freiheitlich-Demokratische. Und der Staat hat immer Recht. Hätte es einen Anschluß der Bundesrepublik an die DDR gegeben, böte sich wohl dasselbe Bild. Ein wichtiger Grund in der Anwerbung von Spitzeln besteht darin, sie in die Hand zu bekommen und dem Staat in allen Bereichen zu verpflichten. Auch für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR war dies ein Anwerbegrund, man nannte es "Wälzungsprozeß".

"30 Silberlinge", Karol Sauerland, Berlin 2000
(S.112ff)"Der Wälzungsprozeß ist, wie mir scheint, noch viel zu wenig bemerkt worden, denn er zeigt, dass es dem Sicherheitsdienst gar nicht so sehr um effektive Aufklärung ging, sondern vor allem darum, so viel Menschen wie möglich in Abhängigkeit zu bringen, zumal die Mitarbeit im Sicherheitsdienst allem Anschein nach nie als etwas Ehrenvolles angesehen wurde (...) Wenn einer der IM mit dem Gedanken spielte abzuspringen, konnte er damit drohen, dessen Tätigkeit publik zu machen. Mit solchen Drohungen arbeitete der Staatssicherheitsdienst regelmäßig."

Hat sich der Anzuwerbende bereiterklärt mitzumachen, wird er langsam an die Spitzeltätigkeit herangeführt. Sein(e) Führungsoffizier(e) (der Angeworbene wird ihn oder sie anders nennen) führt und lenkt ihn. Dazu ist es notwendig, ein enges Vertrauensverhältnis zum Spitzel aufzubauen, wohingegen der Führungsoffizier ihm niemals vertrauen darf. Er hört bei Problemen zu und gibt dem Angeworbenen das Gefühl, ernst genommen zu werden, er gibt Ratschläge, strahlt Zuversicht aus. Er verfügt durch die Überwachungsmaßnahmen über viele Details aus dem Leben seiner Untergebenen, kennt ihre Persönlichkeit mit Stärken und Schwächen. Psychologisches Feingefühl, Freude an der Manipulation von Menschen, die er zum einen in der Täuschung seiner Spitzel und zum anderen im Terror gegen Zielpersonen, zu dem er seine Untergebenen benutzt, auslebt, machen ihn aus.

"30 Silberlinge", Karol Sauerland, Berlin 2000
(S.118ff)"Aussprachen über Probleme der Persönlichkeitsentwicklung des Inoffiziellen Mitarbeiters müssen psychologisch klug und mit pädagogischem Geschick geführt werden. Der IM sei zu erziehen, wobei mündliche Belobigung oder der Tadel Anwendung finden können.(...) Der operative Mitarbeiter muß es verstehen, die beständige politische Einflußnahme auf den IM so zu gestalten, dass sie ihm nicht vordergründig bewusst wird [...] Stets muß die erforderliche Wachsamkeit an den Tag gelegt werden."
(S.122ff) "Eine der von Annette Maennel interviewten Frauen fand, nur von ihrem Führungsoffizier habe sie sich als gleichberechtigt behandelt gefühlt: Da ich nie einen richtigen Gesprächspartner hatte, war mir das sehr wichtig. [...] nur bei diesem Verbindungsoffizier habe ich gespürt, dass er mich, so wie ich war, akzeptierte. Ich musste sonst immer um Anerkennung ringen. Bei ihm fühlte ich mich sicher und wichtig." (...)
"Diese nutzten, könnte man hinzufügen, die Einsamkeitsgefühle und die sich daraus ergebene Anlehnungsbedürftigkeit ihrer IM skrupellos aus. Einige der Führungsoffiziere waren sogar psychologisch geschult worden, Vertrauen zu gewinnen und in die Psyche eines IM einzudringen. Jedem war eingeschärft worden, sich um deren persönlichen Nöte zu sorgen und deren Psyche ständig zu studieren."

Der Führungsoffizier entwickelt Verachtung für sie, denn er ist es gewohnt, sie steuern und täuschen zu können. Und sie merken es nicht einmal.
In Geheimdiensten weiß jeder nur das was er zur Ausübung seiner Tätigkeit wissen muß, auch der Führungsoffizier kennt meistens die Hintergründe des Terrors gegen Personen nicht. Am allerwenigsten wissen es seine Spitzel, sie wollen es oft auch gar nicht so genau wissen, es könnte sie ja belasten und viele ahnen wohl, dass sie, wenn sie die Hintergründe kennen würden, nicht mehr mitmachen wollten. Viele machen zumindest in den ersten Jahren im Glauben mit, eine gute Sache zu unterstützen. Das, was dem Spitzel gesagt wird, orientiert sich immer an seiner Persönlichkeit und nicht an den objektiven Gegebenheiten oder der Zielperson. Denn er soll dazu gebracht werden Einfluß zu nehmen. Oft reicht es aus, die Zielperson als etwas zu denunzieren, das dem Spitzel missfällt. Die Zielperson wird auf bestimmte Merkmale reduziert und man schiebt ihr irgendeine Gesinnung unter, sie wird stigmatisiert. Man nennt sie "Nazi", "Kommunist", "Frauenfeind", "Schwuler", "Schwulenhasser", etc., und in vielen Fällen reicht es wohl zu sagen, das sei "irgend so ein Arschloch". "Der war bei einer Nazi-Demonstration" (dort gibt es drei Seiten, die der Rechten, Linken und der Zuschauer- aber das interessiert in so einem Fall nicht weiter), guckt sich im Internet dieses und jenes an. Und außerdem erscheint er anders als er in Wirklichkeit ist, der tarnt sich nur gut - umso gefährlicher ist er. Man hinterfragt nicht, gibt sich mit wenig Informationen zufrieden. Man würde ja auch keine Antwort bekommen. In der Atmosphäre des Geheimen hat man Verständnis dafür, dass einem nicht alles gesagt werden kann und schafft damit die Grundlage zur eigenen Manipulierbarkeit. Der Staat wird es wissen, schließlich kommt die Weisung wie immer von oben und "die da oben" werden schon wissen was sie tun.

"30 Silberlinge", Karol Sauerland, Berlin 2000
(S.282)"Schon alleine durch den Auftrag ist er eines großen Teils der Verantwortung entledigt. Nicht er zwingt die Instanz zum Handeln, sondern diese wünscht sich seine Mithilfe, um Beweise in die Hand zu bekommen. Die ergriffenen Maßnahmen sind mithin das Werk des Auftraggebers - in neuerer Zeit eines ganzen Stabes von "Sicherheitsleuten" -, ihm kommt die eigentliche Verantwortung zu; trotzdem bleibt es dabei: die IM haben mitgewirkt, ihre Mithilfe kam oft einer Beihilfe gleich, luden somit Schuld auf sich."
(S.75) (...)"es gibt für jeden Staatsbürger auch ein Pflicht, über den Charakter des Regimes, indem er lebt und das er durch seine Stimme, sein Schweigen oder sein sonstiges Verhalten unterstützt, sich zu unterrichten, nach Eintritt bestimmter rechtsbrechender, offener Tatsachen unterrichtet zu sein!"

Schwieriger wird es wenn Bekannte, Freunde oder Familienmitglieder bearbeitet werden sollen. Da ist man auf Missbrauch der Gutmütigkeit des Spitzels angewiesen, denn alles geschieht nur zum Besten der Zielperson, so kann sie ja nicht weitermachen, sie bekommt dadurch nur Probleme, man muß sie auf Fehlverhalten aufmerksam machen etc. Und außerdem meint man, die Anwendung der geheimdienstlichen Psychotechniken merke ja keiner, es falle der Zielperson gar nicht auf. Wiederholt erzählte Geschichten, die sich auf Details des Lebens des Bearbeiteten beziehen, die der Spitzel so nicht wissen kann und auch im Normalfall von niemandem erzählt bekommen haben kann, fallen sehr wohl auf. Man meint, durch solche Geschichten Zielpersonen manipulieren zu können. Im für den Spitzel besten Fall fällt er unangenehm auf und man wird ihm mit ständigem Misstrauen begegnen, in Zukunft möglichst meiden oder es ihm bei der nächsten Gelegenheit verbal heimzahlen. Kurz, der Spitzel macht sich mit solchen Spielchen überall unmöglich. Was so auch gewollt ist, die einzige Verbindung soll nach oben sein, zum Führungsoffizier. Der versteht einen, wenn alle anderen (vielleicht durch den eigenen Versuch sie zu beeinflussen oder durch Maßnahmen anderer Spitzel?) gemein sind. Dort bekommt man Informationen, die es so nirgendwo sonst gibt. Ab und zu werden unwichtige Informationen geliefert deren Wahrheitsgehalt nachprüfbar ist und die für den Spitzel von Bedeutung sind. Das dient der Manipulation und Führung, oft auch der Zersetzung des Umfelds. Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand. Und die schürt die Wut beim Lauscher/Angeworbenen.

Im für den Spitzel schlechtesten Fall weiß oder ahnt die Zielperson, dass sie bearbeitet wird und "schlägt" im Sinne des Wortes zurück. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Rollenspielen oder Provokationen gegenüber dem Angeworbenen unbekannten Personen, auch wenn man in einer Gruppe von mehreren Angeworbenen auftritt. Im Ernstfall hilft einem keiner. Erst Recht nicht der Staat und seine geheimen Vertreter. In der Presse ließt man gelegentlich dass jemand scheinbar ohne Grund gegenüber Nachbarn, Bekannten oder Fremden gewalttätig geworden ist. In vielen dieser Fälle wird es wohl genug Gründe geben.....Mancher Spitzel weiß gar nicht warum gerade er nun das Opfer ist, wo er doch nur dieselben Faxen (sinnlose Tätigkeiten von denen er meint, sie würden zur Beeinflussung dienen) wie oft zuvor gemacht hat. Geheimdienstarbeit bedeutet auch, Zielpersonen über Monate und Jahre hinweg ständig zu provozieren bis diese sich wehren und dann nach dem Gesetz zu rufen. Und der Spitzel ist der Prügelknabe.

Die meisten Tätigkeiten haben nur den Zweck den Spitzel zu beschäftigen und ihm das Gefühl zu geben etwas Wichtiges getan zu haben. Er kann ab und zu "dabei sein", wenn er gemeinsam mit vielen anderen, aus der anonymen Masse heraus, Menschen terrorisiert und aus der Öffentlichkeit vertreibt. Endlich kann man es "denen" mal richtig zeigen. Nur bemerken diese Menschen in den allermeisten Fällen gar nicht dass sie das Ziel von gezielten Aktionen sind, allenfalls kommt ihnen öfters etwas seltsam vor. Erst durch offenen Terror der Geheimdienste, der massiv technische Mittel (siehe Rubrik Waffen), Morddrohungen und Gewalttaten mit einbezieht, wird es der Zielperson klar worum es geht. Dann darf jeder mal zutreten und seinen Spaß haben. Aber im Normalfall ist das Ziel, Personen in der Sucht, in der Psychiatrie oder durch Hineinziehen in kriminelle Machenschaften im Gefängnis verschwinden zu lassen. Dabei geht man verdeckt vor, die Hintergründe sollen bis zum Schluß für die Zielperson und ihr Umfeld verborgen bleiben. Und ist man mit ihr fertig geworden, kann man sie immer noch anwerben indem man vorgibt ihr helfen zu wollen.

Klar wird dies dem Angeworbenen erst wenn er durch jahrelange Mitarbeit erpressbar gemacht worden ist. Es werden ihm genug Gelegenheiten gegeben es unter dem Schutz des Staates nicht ganz so genau mit den Gesetzen zu nehmen. Schließlich machen das doch alle. Von älteren Geheimdienstmitarbeitern hört man sie hätten schon so viele Menschen sterben sehen. Anscheinend meinen sie, daran mit Schuld zu sein. Man schafft für jeden, den man hat verschwinden lassen, eine Masse an Schuldigen und Erpressbaren. Die eigene Mitarbeit als Spitzel muß geheimbleiben, niemand würde Verständnis dafür aufbringen und dazu muß alles getan werden was nötig ist. Man lässt sich noch tiefer hineinziehen. Auch die erschreckende Erkenntnis, das man von den umfangreichen Überwachungsmaßnahmen selbst betroffen ist, diszipliniert und schafft beim Spitzel eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens.

"30 Silberlinge", Karol Sauerland, Berlin 2000
(S. 184ff) "Das neue Machtsystem, die Disziplinarmacht, setzt sich dagegen durch, indem sie sich unsichtbar macht, während sie den von ihr Unterworfenen die Sichtbarkeit aufzwingt. In der Disziplin sind es die Untertanen, die gesehen werden müssen, die im Scheinwerferlicht stehen, damit der Zugriff der Macht gesichert bleibt. Es ist gerade das ununterbrochene Gesehenwerden, das ständige Gesehenwerden-Können, ... was das Disziplinarindividuum in seiner Unterwerfung festhält."

Man traut sich nicht einmal mehr innerhalb der eigenen 4 Wände offen zu reden, drückt vieles in Gleichnissen aus, um seinen Auftraggebern ja nichts verwertbares in die Hand zu geben. Und man kann mit niemandem außer dem Führungsoffizier und anderen persönlich bekannten Spitzeln über die Tätigkeit reden, isoliert sich von der Gesellschaft, weiß nicht wer noch alles in der Umgebung angeworben wurde.

"30 Silberlinge", Karol Sauerland, Berlin 2000
(S.129)"Manche leiten aus dieser Doppelexistenz ab, es sei etwas ganz furchtbares passiert: Sie haben alle mit zwei Gesichtern leben müssen. Das habe bei ihnen auf die Dauer der Zeit zu einer erschreckenden und nicht zu begreifenden Schizophrenie geführt"

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